Die Frau ging in jener Nacht nach der Arbeit in einem Gasthof bei leichtem Schneefall über einen unbeleuchteten Fußweg nach Hause. Etwa 150 Meter vor ihrer Wohnung fing sie der Bauhelfer, der erst seit einigen Wochen in der Nachbarschaft wohnte, gegen 0.20 Uhr mit einem Griff von hinten an den Hals ab und zog sie über eine Strecke von rund 250 Metern hinter ein Gebäude. Er drückte ihr den Arm aufs Gesicht, so dass sie keine Luft bekam.
Bei jedem Schreiversuch drückte er gröber zu, sprühte ihr auch Deospray aus ihrer Handtasche ins Gesicht. Die Frau hatte Todesangst, auch wegen der Drohung: »Tomorrow no police, sonst Familie tot.« Schließlich stieß er die Frau rückwärts in den eiskalten Bach und flüchtete Richtung Kirche. Das Opfer fiel glücklicherweise auf die Füße und schleppte sich nach Hause. Der Lebensgefährte rief die Polizei. Der Angeklagte wurde einige Tage später festgenommen, als er in Obing im Dunkeln ein Pärchen verfolgte.
»Genau vor solchen Taten haben Frauen Angst. Die Tat hat die Bevölkerung fassungslos gemacht, die Gemeinde in Aufregung gehalten«, betonte Staatsanwältin Karin Hahn. Sie habe »keinerlei Zweifel«, dass es zu den von der Frau geschilderten »skrupellosen« Taten kam. Am schlimmsten seien die psychischen Folgen für die Frau mit Schlafstörungen, Angst im Dunkeln, auch beim Autofahren, oder vor schwarz gekleideten Männern. Sie könne nicht allein im Haus bleiben, Rollos hätten an den Fenstern angebracht werden müssen.
28 Therapiesitzungen – weitere sind nötig
Auf mittlerweile 28 Therapiesitzungen und die Notwendigkeit vieler weiterer Behandlungen verwies Nebenklagevertreter Korbinian Ortner. Er schloss sich der Staatsanwältin an. Aus seiner Sicht müsse der Täter auch wegen Körperverletzung verurteilt werden.
Das Geständnis, »vielleicht spät, aber nicht zu spät«, führte Verteidiger Harald Baumgärtl ins Feld. Dadurch habe die Hauptverhandlung verkürzt werden können. Der Frau sei »eine intensive und intime Vernehmung im Zeugenstand erspart geblieben«.
»Das ist ein Verbrechen, das auch von im Strafrecht tätigen Personen als herausragend bezeichnet werden muss«, eröffnete Vorsitzende Richterin Christina Braune die Urteilsbegründung. Die Frau habe den Überfall als ein über sie Hereinbrechen beschrieben. Der Angeklagte sei nicht groß, aber kräftig und habe die Frau überwältigt. Die mit Schnee und Gülle bedeckte Wiese sei »ekelerregend« gewesen. Wenn die Frau etwas sagen wollte, habe er ihr Gesicht in den Matsch gedrückt und ihr damit die Luft genommen. Dann habe er sich fast eine Stunde an ihr vergangen. Die Vorsitzende Richterin weiter: »Sie befand sich in einer schutzlosen und gefährlichen Lage. Wäre sie bei dem Stoß in den Bach nicht auf den Füßen gelandet, wäre sie in dieser Nacht vielleicht erfroren.« Neben den körperlichen Beeinträchtigungen wiegen die massiven psychischen Belastungen noch wesentlich schwerer. Die 55-Jährige könne nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen, benötige umfangreiche Behandlungen, sei insgesamt stark eingeschränkt, könne nicht mehr unbeschwert leben. Sie könne in ihrer Freizeit keine Veranstaltungen mehr besuchen und leide unter Schlafstörungen. Bei ihrer Aussage habe die Geschädigte keinerlei Belastungseifer an den Tag gelegt, unterstrich Richterin Braune.
Die 55-Jährige habe doch umfangreicher befragt werden müssen, so die Richterin: »Bei der Sachverständigen hat der Angeklagte die Tat abgestritten, in der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt. Wir mussten prüfen, ob sein Geständnis lediglich taktisch war. Außerdem konnte das Opfer den Täter nicht identifizieren, da er vermummt war. Das erforderte eine weitgehende Beweisaufnahme.« Die Aussage der Frau nur zu verlesen, sei nicht möglich. Das Gericht habe einen eigenen Eindruck gewinnen müssen zu den Folgen der Vergewaltigung. Unter dem Strich sei die Beweislage »erdrückend«, so die Vorsitzende Richterin. Im Kleid der Geschädigten sei beispielsweise DNA des Angeklagten oder eines männlichen Verwandten gefunden worden. Er habe aber keinen Sohn, sein Vater sei tot. Die Konsequenz sei: »Der 32-Jährige war der Täter.« An seinem Kapuzenpulli fehle eine Kordel. Das Teil sei am Tatort gesichert worden. Frau Braune dazu: »Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, wie die Kordel dorthin kommt.«
Tat führte zu großer Verunsicherung
Bei den positiven Aspekten seien unter anderen das Geständnis und eine gewisse alkoholische Enthemmung zu werten, bei den negativen die überfallartige Tatbegehung in der Nacht bei Kälte auf einem Schnee-Gülle-Acker. Darüber hinaus spiele die Generalprävention eine erhebliche Rolle: »In Obing hat die Tat zu großer Verunsicherung geführt. Viele werden sich gut überlegen, ob sie die Tochter, die Frau allein aus dem Haus gehen lassen. Und Frauen werden sich fragen, ob sie unbesorgt allein den Heimweg antreten können. Das sind für das Dorf dramatische Folgen. Die Sicherheit wurde gestört.«
kd