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Foto: Peter Steffen/dpa/Symbolbild

»Wenn man süchtig ist, denkt man oft nicht« – 40-Jähriger wegen verschiedener Delikte angeklagt

Traunstein – Ein führerscheinloser, 40-jähriger Priener kaufte ein altes Auto, ließ es aber nicht zu. Stattdessen stahl er fremde Kfz-Kennzeichen und bediente sich mit deren Hilfe mehrmals an einer Tankstelle zum Nulltarif. Zusätzlich ließ er Alkoholika mitgehen. Das Amtsgericht Traunstein verhängte gegen den geständigen Angeklagten wegen einer Fülle von Delikten elf Monate Freiheitsstrafe. Bewährung versagte Richter Wolfgang Ott ausdrücklich – mit der Begründung: »Das Fass ist tatsächlich übergelaufen.«


Der 40-Jährige gab sich reuig und zerknirscht. Unumwunden räumte er die Vorwürfe von Staatsanwalt Chris-Dominik Kempel ein. Der Angeklagte hatte sich eine Woche vor den Taten einen gebrauchten VW Golf III zugelegt. Anfang April 2021 stahl der Familienvater zunächst auf dem Park+Ride-Parkplatz am Priener Bahnhof die Kennzeichen eines Toyotas, um die Zulassung und damit auch einen Versicherungsschutz vorzutäuschen. Im Tankzentrum Chiemsee in Grabenstätt ließ er am 11. April 2021 zunächst unbemerkt vom Personal eine Flasche Jägermeister im Wert von zehn Euro mitgehen. Fünf Minuten später füllte er den Tank seines VW Golfs mit knapp 36 Litern Kraftstoff im Wert von 55,72 Euro. Dann verschwand er – ohne zu zahlen. Vier Tage später kreuzte der Dieb wieder in der Tankstelle auf. Dieses Mal erbeutete er fast 24 Liter Benzin im Wert von 36,59 Euro. Um unerkannt zu bleiben, holte er sich am 17. April auf einem Parkplatz an der Beilhackstraße in Prien Kennzeichennachschub.

Dieb auf Überwachungsvideo zu sehen

Er schraubte die Schilder eines Renault Capture ab und brachte sie an seinem Wagen an. Erneut steuerte er das Tankzentrum in Grabenstätt an und holte sich erst eine Flasche Jägermeister. Anschließend zapfte er rund 30 Liter Kraftstoff, die 46,85 Euro gekostet hätten, und fuhr weg. Des Weiteren schnappte sich der Angeklagte in einer Tankstelle in Prien am 15. August 2021 eine 25 Euro teure Flasche Jägermeister. Seine Beute am 20. August 2021 in einem SB-Markt in Traunstein hätte nach Worten des Richters gereicht, eine Bar zu bestücken – insgesamt 17 Flaschen verschiedenste Alkoholika im Wert von 509,83 Euro. Der 40-Jährige packte alles in einen mitgebrachten Trolley und rollte damit unbehelligt aus dem Laden. Wie eine Zeugin schilderte, fiel der Diebstahl erst eine Stunde später auf. Eine Angestellte hatte sich gewundert, wie schnell die Flaschen im Regal verkauft worden waren. Als man das Überwachungsvideo ansah, war die Überraschung groß. Der Dieb ohne Maske im Gesicht und in einem auffälligen Outfit war gut zu erkennen. Niemand wusste allerdings, wer er war.

Wie ein Repräsentant des SB-Markts berichtete, warnte man damals sofort alle Supermärkte der gleichen Kette in der Umgebung. Prompt tauchte der Dieb am nächsten Tag in Chieming auf – in der gleichen prägnanten Bekleidung. Auf die Nachricht hin eilten Mitarbeiter aus Traunstein sofort den Kollegen zu Hilfe. Der 40-Jährige konnte Richtung Mutter-Kind-Klinik flüchten und kurz darauf gefasst werden.

Nur wenige Zeugen wurden gehört

Angesichts des Geständnisses hörte das Gericht nur wenige der rund ein Dutzend Zeugen an. Zwei Mitarbeiterinnen der Tankstelle in Grabenstätt hatten wegen des hohen Kundenzulaufs, wie sie sagten, nichts mitbekommen von den Alkohol- und Benzindiebstählen.

Ihre Informationen stammten aus den Videos von Überwachungskameras. Eine Angestellte erinnerte: »Es hieß, wir haben einen Wegfahrer. Verwirrt hat uns, dass er mit verschiedenen Kennzeichen kam. Aber das Auto war offensichtlich das gleiche. Es hatte eine markante Stelle am Dach.«

Der 40-Jährige mit Hafterfahrung hatte an die 20 Jahre Drogenprobleme. Diese Sucht wurde er los. Dafür trank er im Tatzeitraum viel Alkohol, hatte aber kaum Geld, weil er alles der Familie gab. Inzwischen konsumiert er seit über sieben Monaten gar nichts mehr und hat auch wieder einen Job – als Corona-Kontrolleur in einem Skiort im Salzburger Land. »Wenn man süchtig ist, denkt man oft nicht«, meinte er auf Frage des Richters zum Motiv.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft stellte das Gericht eine Trunkenheitsfahrt ein. Für die verbleibenden Vorwürfe plädierte Ankläger Chris-Dominik Kempel auf eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten – ohne Bewährung. Der 40-Jährige mache keinen schlechten Eindruck und habe ein Geständnis von Wert abgelegt. Negativ zu werten seien jedoch die 23 Vorstrafen, eine offene Führungsaufsicht sowie eine offene Bewährung bei Begehung der jetzigen Delikte. Zwölf Monate mit Bewährung hielt Verteidiger Hans Sachse aus Rosenheim für ausreichend. Der Anwalt sprach von »laienhafter Ausführung«: »Es war ein Leichtes, meinen Mandanten zu überführen.« Zu den gestohlenen 17 Flaschen Alkohol bei einem Beutezug merkte der Anwalt an: »Ich bin überrascht, dass so viel derart leicht in einen Koffer gepackt werden kann.« Die früheren Probleme des 40-Jährigen hätten sich grundlegend geändert. Sachse appellierte, dessen Zukunft nicht zu verbauen.

In das Zentrum des Urteils stellte der Vorsitzende die Frage einer Bewährung. Dafür seien »besondere Umstände« erforderlich. Wolfgang Ott sagte: »Eine günstige Sozialprognose kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Nach der letzten Bewährung folgten vier weitere Straftaten.« Mit gesenktem Kopf akzeptierte der 40-Jährige die Haftstrafe. Der Staatsanwalt äußerte sich nicht, ob auch er auf Rechtsmittel verzichtet.

kd

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