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»Wir beraten inzwischen auf allen Kanälen: am Telefon, per Video und per E-Mail«, sagt Ulrike Weidinger-Harrer von der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Traunstein. (Foto: Reiter)

Mehr Trennungen – Coronakrise wirkt sich negativ auf Paare aus

Traunstein – »Die Probleme sind ähnlich, nur haben sie zugenommen«, sagt Ulrike Weidinger-Harrer auf die Frage, ob und wie sich die Coronakrise auf Beziehungen auswirkt. Harrer leitet seit 17 Jahren die Ehe-,Familien- und Lebensberatungsstelle in Traunstein und führt derzeit überdurchschnittlich viele Trennungsgespräche. Doch es gebe auch Paare, »die in der Not wieder zusammengewachsen sind«.


Wann sollten Paare aus Ihrer Erfahrung heraus eine Eheberatung aufsuchen?

Wenn einer oder beide denken, 'wir kommen alleine nicht mehr weiter'.

Kommen zu Ihnen mehr Paare mit oder ohne Kinder?

Sowohl als auch. Mit Kindern stellen sich aber andere Herausforderungen – vor allem kommt das Paarsein zu kurz.

Welche Herausforderungen sind das? Und was kann man tun, damit man sich als Paar nicht verliert?

Es ist so, als ob man an ein Mobile was dazu hängt – das bisherige Gleichgewicht kommt ins Trudeln. Eine gute Organisation ist gefragt. Die Rollen werden neu verteilt – und der Schlaf fehlt. Hilfreich wäre eine gute Wochenplanung, die bewusst Zeit als Paar beinhalten sollte – und wenn es erst mal nur ein Abendspaziergang ist.

Benötigen Männer andere Beziehungstipps als Frauen? Wenn ja, welche?

Für Männer ist es oft hilfreich, wenn sie verstehen, dass Frauen keine fertigen Lösungen, sondern einfühlsames Zuhören brauchen.

Wie hat sich Ihre Arbeit aufgrund von Corona verändert?

Wir beraten inzwischen auf allen Kanälen: am Telefon, per Video und per E-Mail – die Herausforderungen, sowohl emotional als auch technisch, haben zugenommen.

Können Online-Beratungen oder Beratungen am Telefon das persönliche Gespräch mit einem Therapeuten wirklich ersetzen?

Warum nicht. Das kann so pauschal nicht gesagt werden. Es gibt für jeden Fall Vor- und Nachteile. Manchmal etwa ist die Hemmschwelle am Telefon oder über E-Mail geringer. Denn viele Menschen können sich ohne Sichtkontakt besser öffnen. Auf längere Sicht hin ist eine Online-Beratung aber sicher nicht mit einer persönlichen Beziehungsaufnahme zwischen Klient und Berater zu vergleichen.

Wie lange ist die Wartezeit, bis Hilfesuchende bei Ihnen oder Ihren Kolleginnen einen Termin bekommen?

Etwa zwei Wochen. In dringenden Fällen – dasfragen wir immer ab – auch zeitnah.

Mit welchen Problemen kommen Menschen zu Ihnen, die vor Corona kein Thema waren?

Die Probleme sind ähnlich, nur haben sie zugenommen beziehungsweise überlagern sich. Aus 'Wir haben zu viel Stress und zu wenig Zeit' wurde 'Wir haben zu wenig Zeit, zu viel Stress, zu wenig Geld, zu viele Belastungen, zu wenig Schlaf, zu wenige Kontakte und zu viele Krankheiten'.

Ist Corona ein Liebeskiller? Oder hat er die eine oder andere Beziehung sogar gefestigt?

Wer vorher schon an Trennung gedacht hat, konnte sich mitunter schneller dazu entscheiden. Insgesamt erleben wir eine Zunahme an Trennungsberatungen. Aber es gibt auch viele Paare, die in der Not wieder zusammengewachsen sind. Viele Familien haben dieses 'Zwangszusammensein' sehr gut für einen neuen Familienzusammenhalt nutzen können.

Wie haben sich die Lockdowns ausgewirkt? Vor allem Familien mit Kindern waren durch Homeschooling, Arbeit und Co. sehr belastet. Spüren Sie das in Ihrer Arbeit?

Das wird erst so nach und nach spürbar. Wir rechnen mit einer Long-Covid-Veränderung in Beziehungen und Familien, wenn sich der Alltag wieder einigermaßen normalisiert hat. Dann erst werden wir sehen, welche Folgen das alles hatte.

In einer Beziehung darf gestritten werden. Was sollte dabei aber immer beachtet werden?

Natürlich alle Kommunikationsregeln, zum Beispiel die VW-Technik.

Was versteht man darunter?

Vorwürfe in Wünsche umformulieren. Und darüber hinaus: Ich-Botschaften senden, beim Thema bleiben, bei starken Emotionen Stopp-Signale vereinbaren, Konkretes benennen, nach Lösungen suchen, Vorschläge verhandeln…

Beraten Sie auch Eltern im Beisein der Kinder?

Wenn es um Paarprobleme geht, in der Regel nicht. Die Kinder sollen aus dem Paarsystem rausgehalten werden, sie bekommen atmosphärisch eh genugmit.

Gibt es Fragen, die Sie in Ihrer Arbeit immer wieder hören?

Ja. 'Was kann ich tun, damit er/sie sich endlich ändert?'. Die Antwort: nichts. Man kann nur an sich selbst etwas ändern, der Partner ist erst einmal so, wie er ist.

Und wenn ich das nicht akzeptieren kann? Ist dann eine Trennung die einzig richtige Lösung?

Es gibt immer mehrere Optionen. Trennung erscheint oft als erstbeste Lösung. Wenn man aber näher hinschaut, stimmt das so gar nicht. Deshalb gibt es ja Beratungsstellen, um miteinander Lösungsvarianten auszuhandeln.

Bitte geben Sie unseren Lesern einen Tipp, was es zu einer glücklichen Beziehung braucht.

Den richtigen Partner. Nein, Spaß beiseite. Es braucht Geduld, Verständnis, Einfühlungsvermögen, Respekt, Achtsamkeit, ein inneres 'Ich will' sowie Einsatz und Engagement für die Beziehung – und natürlich Liebe!

Klara Reiter

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