Der Angeklagte mit drei Verteidigern aus Hamburg, Kiel und München zur Seite äußerte sich weder zu seiner Person noch zur Sache. Staatsanwältin Fiona Linden wirft ihm vor, der 56-Jährigen im Oktober 2016 per Mail eine Vergütung von 20 Prozent an den sieben Millionen Dollar für den Geldtransfer angeboten zu haben. Später sollen der gutgläubigen Frau sogar 70 Prozent der Riesensumme offeriert worden sein. Die 56-Jährige fiel auf immer neue Lügengeschichten mit zahlreichen Beteiligten he-rein. Beispielsweise per Western Union überwies sie bis 2019 in vielen Einzelbeträgen insgesamt 267 929,15 Euro, wie die Polizei später ermittelte. Im September 2020 wanderte der Angeklagte nach einem Haftbefehl des Amtsgerichts Traunstein in Untersuchungshaft.
Die Hausfrau und Landwirtin hatte im Oktober 2016 ein Güllefass im Internet zum Verkauf angeboten. Kurz darauf meldete sich – wie sie vor Gericht schilderte – ein »Arzt aus dem Jemen«: »Er hatte sieben Millionen Dollar geerbt. Ich sollte helfen, die Kiste vom Jemen nach Deutschland zu bringen.« Als die 56-Jährige auf die Geschichte anbiss, kamen über Jahre stets neue Märchen. Immer mehr Personen wurden aktiv – neben dem Arzt beispielsweise ein Diplomat, ein Steuerberater, ein Rechtsanwalt, zwei Lkw-Fahrer und ein Agent. Alle gerieten zur rechten Zeit in irgendwelche Schwierigkeiten und benötigten dringend Geld. Das blauäugige Opfer und teils auch der Ehemann reisten in die Türkei, mehrmals nach Amsterdam, nach London, Hamburg oder nach Wien – immer auf eigene Kosten.
Abenteuerliche Geschichte
Die 56-Jährige erzählte ausführlich, was ihr wo widerfahren war. Die Kiste mit den Millionen wurde angeblich 2016 mit einem Rot-Kreuz-Flieger vom Jemen nach Deutschland gebracht. Ein Anwalt habe dafür Geld gebraucht. Jemand sei samt Kiste nach München geflogen. Bei der Kontrolle am Flughafen habe noch ein Dokument gefehlt. Das musste in Amsterdam besorgt werden. Zwei Lkw-Fahrer sollten die Kiste mit Bargeld in die Bundesrepublik kutschieren, seien aber an der holländischen Grenze festgenommen worden. Ein anderer Mann habe die Kiste an sich genommen. Wieder brauchte man ein Dokument aus Amsterdam. Jedes Mal schickte die 56-Jährige Geld, oft in fünfstelliger Höhe. Dann sollte der angebliche Kisteninhalt in der Türkei auf ein Konto einbezahlt werden – was ein anderer Beteiligter verhindern wollte. Ein Dritter wurde eingeschaltet. Ein Diplomat habe die Kiste an sich genommen, um sie nach Deutschland zu schaffen. Wieder veranlasste die Geschädigte Überweisungen, dieses Mal nach Istanbul. Auf irgendeine Weise sei die Kiste nach Wien gelangt – mit der Folge von weiterem Geldbedarf vom Konto des Landwirtspaars.
Nächste Station der sieben Millionen Dollar sei Hamburg gewesen. Dort reiste das Ehepaar mehrfach hin, besuchte dabei den Angeklagten zweimal in seinem Hotelzimmer. Die Frau dazu: »Er hat vor unseren Augen Dollarscheine gereinigt – mit einer speziellen Chemikalie. Auch die haben wir bezahlt.« Die 56-Jährige erhielt 100 Dollar, »die anderen Scheine nicht, weil sie noch rote Flecken hatten«. Für das »besondere Mittel« blätterte die Geschädigte wieder Geld hin. Beim letzten Treffen in Hamburg hatte sie den Koffer ihrer Tochter dabei, um ihre 3,5 Millionen Dollar mit nach Hause zu nehmen. Ein Anruf erreichte sie, dass sie nur eine halbe Million Dollar heimtransportieren könne – weil der Rest noch nicht gereinigt war. Ein Steuerberater forderte per Mail vorab »Steuern«, wenn sie das Geld daheim haben wolle. Die Frau überwies brav – ein Drittel nach London, ein Drittel nach Hamburg. Das letzte Drittel der Steuern übergab sie bei der nächsten Reise nach Hamburg in bar. Sie hatte 200 Euro im Geldbeutel – »die einer der Männer auch noch wollte«. »Er wich mir nicht von der Seite. Da gab ich ihm 100 Euro. Ich wollte mit dem Zug nach Ampfing fahren. Das Geld hat aber nicht mehr gereicht. Deshalb bin ich nur nach München gefahren. Meine Familie hat mich abgeholt.«
Auch Zürich spielte eine Rolle. Dort eröffnete die 56-Jährige ein Konto und nannte das Passwort den Betrügern. Sie wollte später schauen, »ob das Geld existiert«. Der Steuerberater erklärte ihr, das sei nicht möglich, die Bank sei gehackt worden. »Dann hörte ich nichts mehr von dem Steuerberater.« Die »eingefärbten Dollar« wurden – wie der Zeugin mitgeteilt wurde – in Wien auf einem Friedhof versteckt. Jemand habe das Geld gesucht und auch gefunden. Per Mail erfuhr sie danach, »dass das Geld nie eingefärbt worden und nie auf der Bank in Zürich war«. Die Kiste sei zwischenzeitlich von Wien nach Bremen geschafft worden. Die 56-Jährige: »Man wollte wieder Geld – für eine Polizeibegleitung. Das wurde aber nicht gemacht, weil der Aufwand zu groß war.« 2019 wurde die Frau via Handy aufgefordert, »nochmal zu bezahlen, wenn wir das Geld haben wollen«. Dazu erklärte sie vor Gericht: »Ich war total fertig. Wir haben das nicht mehr gemacht.« Sie habe die Nummer eines Mannes angerufen. Dessen Schwester habe ihr gesagt, die Kiste sei in Irland. Bei einem anderen Telefonat habe sie gehört, die Kiste sei in Amsterdam. Auf Frage der Vorsitzenden Richterin beteuerte die 56-Jährige: »Ich habe alles geglaubt.« kd