Traunstein: Urteil im Schleuserprozess – Flüchtlinge in "fahrbarem Sarg"
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In einen Fiat bauten Unbekannte in Rumänien einen »fahrbaren Sarg« ein – ein Versteck für drei Geschleuste im Bodenraum unterhalb der Sitzbank mit nur wenigen Luftlöchern. Die Flüchtlinge mussten darin bei fünf Fahrten bis zu elf Stunden lang ausharren. Die beiden Schleuser, die sich gestern vor dem Landgericht Traunstein verantworten mussten, reagierten nicht auf die Hilfeschreie. Erst Schleierfahnder der Polizeiinspektion Fahndung Pidung beendeten die »Behältnisschleusung«, wie diese Schleusungsart in Polizeikreisen genannt wird. (Foto: Kretzmer)

Flüchtlinge in »fahrbarem Sarg« geschleust – Urteil in Traunstein

Traunstein – In einem »fahrbaren Sarg«, wie es das Landgericht Traunstein formulierte, transportierten zwei Bulgaren, 58 und 51 Jahre alte Handwerker, bei fünf Schleuserfahrten jeweils drei Personen illegal in die Bundesrepublik. In einen Fiat hatten Unbekannte in Rumänien ein Versteck im Bodenraum unterhalb der Sitzbank mit nur wenigen Luftlöchern eingebaut. Die Sechste Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Dr. Jürgen Zenkel verhängte gegen die geständigen Täter am Dienstag mehrjährige Haftstrafen.


Aufgefallen war das Fahrzeug sowohl in Ungarn als auch in Deutschland. Die Schleierfahnder der PI Fahndung in Piding zogen den Wagen, der so häufig über die Grenzen fuhr, am 20. September auf der Autobahn an der Raststätte Hochfelln-Nord bei Bergen aus dem Verkehr. Sie entdeckten in dem nur 25 Zentimeter hohen, 180 Zentimeter langen und maximal 174 Zentimeter breiten Versteck drei Flüchtlinge, die eine qualvolle, ununterbrochene elfstündige Tortur hinter sich hatten. Es gab nur wenige Luftlöcher in der aufwändig eingebauten Box, die die Polizeibeamten nur unter Anwendung von Gewalt hatten öffnen können.

In dem Versteck bekamen die Flüchtlinge kaum Luft, litten unter Atemnot und Schmerzen. Auf ihre Hilfeschreie hatten die beiden Schleuser nicht reagiert. Ursprünglich hatte es geheißen, die Fahrt würde nicht länger als zwei Stunden dauern. Die »Behältnisschleusung«, wie diese Transportart in Polizeikreisen genannt wird, endete für die beiden Bulgaren in Untersuchungshaft.

Gestern legten die beiden Angeklagten Geständnisse ab. Über Hinterleute wussten sie angeblich nichts. Sie behaupteten, der Fiat sei ihnen fix und fertig umgerüstet verkauft worden. Anweisungen für oder während der Fahrt wollten sie ausschließlich telefonisch von irgendwem erhalten haben. Als Schleuserlohn winkten pro Tour umgerechnet etwa 250 Euro – ungefähr so viel, wie sie zuhause im ganzen Monat verdienten.

Die Bulgaren machten beim Motiv Geldnot und berufliche Schwierigkeiten geltend. Das Geständnis ersparte den drei Zeugen, die im September 2018 von der Polizei aus ihrer lebensgefährlichen Lage befreit wurden, die Aussage. Letztlich überlebten offenbar alle Geschleusten die Reise im »fahrbaren Sarg« ohne Verletzungen. Das wurde auch aus den Angaben von einigen im südostbayerischen Raum aufgegriffenen Flüchtlingen bei der Polizei deutlich.

Ein umfangreiches Ermittlungsverfahren der Bundespolizei Freilassing folgte. Mehrere Beamte schilderten gestern die Einzelheiten. Die fünf Fahrten der Angeklagten von der Türkei nach Deutschland im Auftrag einer kriminellen Organisation liefen demnach immer nach dem gleichen Schema ab. Die Angeklagten waren zuständig für die Etappe von Timisoara/Rumänien nach Deutschland. Ihr Wagen wurde auf der Transportstrecke jeweils durch ein Begleitfahrzeug gesichert, mit dessen Fahrer man in telefonischer Verbindung stand. Die Flüchtlinge mussten im Voraus in der Türkei zahlen – in der Regel 8500 Euro pro Person.

Auf Anregung der Verteidiger führten die Prozessbeteiligten gestern ein Rechtsgespräch. Die Kammer sagte dem 58-Jährigen bei Wiederholung des Geständnisses eine Freiheitsstrafe zwischen drei Jahren und neun Monaten sowie vier Jahren und drei Monaten zu. Die Strafe für den 51-jährigen Landsmann sollte zwischen vier Jahren und drei Monaten und vier Jahren und neun Monaten liegen. Staatsanwältin Barbara Miller schöpfte die Strafspanne im Plädoyer bis nach oben aus. Die Verteidiger – Hans-Jörg Schwarzer und Jürgen Tegtmeyer, beide aus Berchtesgaden – forderten Strafen am unteren Rand des Korridors.

Die Sechste Strafkammer gelangte wegen vier vollendeter und einer versuchten Schleusung zu Haftstrafen von vier Jahren für den älteren Angeklagten und vier Jahren und neun Monaten für den 51-Jährigen. Der Vorsitzende Richter betonte, die Geständnisse seien erst in der Hauptverhandlung erfolgt. Das Vorgehen sei »absolut unwürdig, menschenverachtend und eiskalt« gewesen. Beim Stopp durch die Polizei hätten sie nichts getan, um die Flüchtlinge aus der Kiste zu befreien, vielmehr jegliche Schuld geleugnet.

Vorsitzender Richter Dr. Jürgen Zenkel: »Das ist an Schäbigkeit nicht zu übertreffen. Es ist reines Glück, dass es nicht zu schlimmeren Folgen wie beispielsweise dem Tod von Menschen durch Ersticken gekommen ist.« kd

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