Josef Bichler ist hörbehindert. Aufgrund einer Erkrankung im frühen Kindesalter verfügt der 39-jährige Diplom-Handelslehrer aus Unterwössen über lediglich circa 20 bis 30 Prozent des üblichen Hörvermögens. Trotzdem hat er sein Studium der Wirtschaftspädagogik an der LMU München sowie die Herausforderungen des zweijährigen Referendariats mit Bravour gemeistert und verstärkt seit dem Schuljahr 2016/17 das Kollegium der Berufsschule II an der Prandtnerstraße. Um die Kommunikation im Unterrichtsalltag zu bewältigen, trägt er beidseitig ein Hörgerät und, ergänzend dazu, liest er seinen Schülern und Kollegen von den Lippen. Seine Schüler wissen das und achten im Unterricht daher auf eine klare und deutliche Aussprache.
Im Frühjahr 2020 wurde Bichlers Alltag gehörig auf den Kopf gestellt. Die Einführung der Maskenpflicht führte zum Wegfall des Lippenlesens. Plötzlich fehlte im Präsenzunterricht ein zentrales Element seiner Sprache. Ein Defizit, das auch seine Hörgeräte nicht ausgleichen konnten. »Das war wirklich schlimm für mich, weil ich urplötzlich das Gefühl hatte, dass ich meinen Schülern nicht mehr auf Augenhöhe begegnen und die gewohnte Unterrichtsqualität nicht mehr aufbieten kann«, so der gebürtige Ruhpoldinger. Auch im Distanzunterricht musste er einen enormen kognitiven Aufwand betreiben, da der Online-Unterricht immer wieder von Störgeräuschen und verzerrter Übertragung gestört war.
Mühevolle Suchenach technischer Lösung
Nach einem Gespräch mit Andreas Gembala, dem Schulleiter der Berufsschule II Traunstein, machte sich Bichler auf die Suche nach einer passgenauen Lösung. Dies vergleicht er im Nachhinein gern mit einem »nie enden wollenden Marathonlauf«. Seinen Angaben zufolge untersagen beispielsweise die strengen Vorgaben des Infektionsschutzes die Hand-zu-Hand-Weitergabe eines Mikrofons. Und auch das ein oder andere Lautsprechersystem brachte nicht den gewünschten Erfolg, da eine Konnektivität mit dem Hörgerät aufgrund fehlender technischer Vorrichtungen nicht realisierbar und eine Aufrüstung seiner Hörgeräte nicht möglich war.
Erst ein halbes Jahr später, im Januar 2021, zeichnete sich eine Lösung ab. Bei einem Vor-Ort-Termin an der Berufsschule II wurde ein spezielles Audiosystem getestet. Es besteht unter anderem aus mehreren Schülermikrofonen, einem Empfangsgerät, das von der Lehrkraft um den Hals getragen wird, und speziellen Hörgeräten, welche über eine induktive T-Spule verfügen.
»Die Funktionsweise ist schnell beschrieben«, sagt Bichler. »Das gesprochene Wort des Schülers wird anhand des Mikrofons zunächst an das Empfangsgerät des Lehrers transportiert. Von dort aus werden die akustischen Signale an die Hörgeräte des Lehrers weitergeleitet. Der hörbehinderte Lehrer kann das gesprochene Wort seines Schülers, trotz Maskenpflicht, folglich deutlich leichter und in ausgezeichneter Klangqualität aufnehmen und über sein Empfangsgerät, das ebenfalls ein intuitiv bedienbares Mikrofon enthält, in Echtzeit antworten.«
Nach einer eingehenden Testphase und einem damit verbundenen Unterrichtsbesuch, dem sowohl Andreas Gembala als auch Christian Klauser, gemeinsame Vertrauensperson für schwerbehinderte Lehrkräfte an beruflichen Schulen in Oberbayern, beiwohnten, wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Auf Geheiß des Inklusionsamts beziehungsweise der Regierung von Oberbayern holte Josef Bichler zunächst für das Audiosystem, die Hörgeräte und zur Optimierung der Raumakustik mehrere Angebote ein.
Im nächsten Schritt wurde beim Zentrum für Bayern Familie und Soziales (ZBFS) die Kostenübernahme beantragt und die Notwendigkeit des Gesamtpakets, mit Blick auf die pandemiebedingt erschwerten Arbeitsbedingungen von Bichler, begründet. Die Bestätigung durch alle beteiligten Institutionen folgte im Juli 2021. »Einen Monat später, kurz vor Beginn des neuen Schuljahres, konnten sowohl alle notwendigen Maßnahmen zur Optimierung der Raumakustik, als auch die Installation und Inbetriebnahme des Audiosystems realisiert werden«, berichtet der Lehrer.
Erstes Projekt seiner Art im Landkreis
Christian Klauser lobt das Engagement der Berufsschule II Traunstein und hebt besonders den Tatendrang von Josef Bichler hervor. Das Projekt sei ein Musterbeispiel zur Förderung der Inklusion von schwerbehinderten Lehrkräften an bayerischen Schulen und im Landkreis Traunstein einmalig. Schulleiter Andreas Gembala betont, dass das Projekt nur im gemeinsamen Schulterschluss mit Josef Bichler, Christian Klauser und der Berufsschule II möglich gewesen sei.
Der Gesamtwert des auditiv optimierten Klassenzimmers, inklusive des integrierten Audiosystems, beläuft sich nach Angaben von Bichler auf circa 40.000 Euro. Der immaterielle Wert des neuen Klassenzimmers sei, nicht zuletzt mit Blick auf die Unterrichtsqualität, unbezahlbar und werde der ganzen Schulfamilie zugutekommen. Laut Bichler werden auch hörbehinderte Schüler und Lehrkräfte mit beanspruchter Stimme davon profitieren. Und so erzählt der Lehrer dann auch, dass das neue System auch jetzt, da keine Maskenpflicht im Unterricht gegeben ist, zum Einsatz komme.
jsb/pü