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Passanten konnten testen, ob sie wissen, wie manche Wörter geschrieben werden: Heißt es richtig Karusell, Karrusell, Karussell oder Karrussell? (Foto: P. Mix)

Die größte Hürde ist die Scham der Betroffenen

Traunreut – Den Tag mit der Zeitungslektüre beginnen, das Mittagessen nach Rezept kochen, einen Antrag ausfüllen, eine Mail schreiben oder den Kindern vorlesen – für die meisten Erwachsenen ist das alles ganz normal. Es gibt aber in Deutschland 6,2 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren, für die solche Tätigkeiten ein Problem darstellen.


»Man kann seine Schwäche gut überspielen. Wenn man es nicht will, kommt keiner drauf«, erklärt Klaus Dräger, der früher selbst betroffen war und heute als »Lernbotschafter« mit dem Alfa Mobil unterwegs ist. Das Alfa Mobil des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung macht auf die Problematik von Lese- und Schreibschwächen aufmerksam und zeigt mögliche Hilfen auf. Nach Traunreut geholt hatten das Alfa Mobil die beiden Koordinatorinnen des Mehrgenerationenhauses, Veronika Ebner und Angela Auer für eine Schulung von Fachkräften aus sozialen Einrichtungen. Sie erhielten einen Überblick über das Thema, aber auch praktische Tipps, wie man damit umgehen und Betroffenen helfen kann. Ein großes Problem sei es, überhaupt erst an Betroffene heranzukommen.

Er konnte nur mangelhaft lesen und hatte große Probleme beim Schreiben. »Ich hab' das immer verborgen.« Es gebe viele Möglichkeiten, wie man sich immer wieder herausredet: »Ich nehm' das Formular mit und fülle es zuhause aus« oder »ich hab' meine Brille gerade nicht dabei«, sind da nur ein paar der gängigen Ausreden.

Als er aufgrund einer Krankheit an einen anderen Arbeitsplatz versetzt wurde, wo er viel Schreibtätigkeit gehabt hätte, war für ihn der Zeitpunkt gekommen, die Schwäche gegenüber dem Arbeitgeber zuzugeben. Die Reaktionen darauf seien sehr unterschiedlich ausgefallen. Angebote, auch als Erwachsener noch lesen und schreiben zu lernen, gibt es durchaus. Der »Lernbotschafter sagt heute: »Ich bin selbstsicherer und dadurch offener im Kontakt mit anderen geworden. Vor meiner Zeit im Lese- und Schreibkurs habe ich mich abgekapselt und eingeschränkt gefühlt. Jetzt muss ich mich nicht mehr verstecken.«

Die Ursachen für Analphabetismus können ganz unterschiedlich sein. Negative Schulerfahrungen, geringes Selbstbewusstsein oder auch Probleme im Elternhaus, Schwierigkeiten beim Schrift-Sprach-Erwerb können eine Rolle spielen. Und mit der Zeit sowie zunehmendem Alter wird die Hemmschwelle, sich zu »outen«, immer größer. Im Mehrgenerationenhaus finden Betroffene Hilfe. Ein Alphabetisierungskurs musste zwar mangels Teilnehmern gestrichen werden. Es gibt jedoch die Formularwerkstatt, wo man Hilfe beim Ausfüllen von Formularen oder beim Schreiben von Briefen bekommt. Zudem sind die Damen im MGH immer ansprechbar und können an andere Stellen verweisen, wo Betroffene Hilfe finden. mix

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