Gericht
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Fachoberschülerin verursachte Unfall mit zwei Toten (16 & 17): 21-Jährige leidet schwer an ihrer Schuld

Tittmoning – Weinend nahm die junge Angeklagte auf der Anklagebank des Jugendschöffengerichts Altötting Platz. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, aus Rücksichtslosigkeit fahrlässig den Tod von zwei Jugendlichen verschuldet zu haben.


Die 20-jährige Fachoberschülerin fuhr am 21. September 2021 gegen 20 Uhr mit ihrem VW Golf auf der Staatsstraße von Kay in Richtung Bundesstraße 20. Sie sei vom Pferdestall gekommen und wollte nur noch rasch heimkommen, sagte sie dem Gericht schluchzend. Sie sei eine ganze Weile hinter einer Fahrzeugkolonne hergefahren, bevor sie zum Überholen angesetzt habe.

Nach Auskunft des Sachverständigen drückte die Angeklagte das Gaspedal bis zum Anschlag durch und erreichte eine Geschwindigkeit von gut 140 Kilometern pro Stunde. Ihre Absicht war, alle vier vor ihr fahrenden Autos in einem Zug zu überholen, da sie freie Sicht zu haben glaubte. Einen entgegenkommenden Motorroller übersah sie. Es kam zum Zusammenstoß, der für den 16-jährigen Rollerfahrer – nach Ansicht des Sachverständigen Frank Schmidinger – unvermeidbar war. Das unfallanalytische Gutachten ergab eine Kollisionsgeschwindigkeit von 218 Kilometern pro Stunde. Eine Überlebenschance konnte es daher nicht geben, auch nicht, wenn die Angeklagte nur mit Tempo 100 dran gewesen wäre. Noch an der Unfallstelle verstarben der Rollerfahrer und sein 17-jähriger Sozius.

Eine Zeugin berichtete, sie habe sich von dem längere Zeit hinter ihr fahrenden Auto bedrängt gefühlt. Sie wurde von der Unfallverursacherin als erste überholt. Sie habe zwar ein kleines Licht auf der anderen Straßenseite wahrgenommen, konnte aber nicht zuordnen, ob es sich bewegte oder stationär war. Das helle Licht des Kayer Sportplatzes habe die mangelhafte Einschätzung begünstigt. Das bestätigte auch ein weiterer Fahrer, ein anderer sah den Scheinwerfer gar nicht.

Überholverbot angemahnt für Streckenabschnitt

»Dann flog mir ein Fahrzeughelm entgegen«, berichtete die Zeugin weiter. Sie habe den verunglückten Jugendlichen dann in der angrenzenden Wiese gefunden und sei bis zu dessen Tod bei ihm geblieben, schilderte die Frau dem Gericht das Geschehen, unterbrochen von Weinkrämpfen. Alle vernommenen Autofahrer berichteten, den Streckenabschnitt sehr gut zu kennen und wegen der Gefährlichkeit – auch wegen des Wildwechsels – nicht schneller als 80 bis 90 Stundenkilometer gefahren zu sein. Ein Überholen wäre für sie nicht in Frage gekommen. Der Sachverständige mahnte an, die Gefahr an diesem Streckenabschnitt mittels Überholverbot zu entschärfen.

Für die Jugendgerichtshilfe berichtete Birgit Zscheile vom sozialen Umfeld der jungen Angeklagten und deren augenblicklicher Situation. Sie lebe im Haushalt ihrer Mutter, habe die Fachoberschule besucht und wollte später Tiermedizin studieren. Seit dem Unfall sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, in die Schule zu gehen. Sie igle sich in ihrem Zimmer ein, habe außer mit zwei Freundinnen so gut wie keine Kontakte mehr. Einzig ihre Pferde würden ihr Lebenswillen geben, suizidale Gedanken seien ihr nicht fremd. Die junge Frau bringe die schrecklichen Bilder des Unfalls nicht aus dem Kopf, ebenso wenig das große Leid, das sie den Angehörigen der toten Buben angetan hat. Sie habe an beide Elternpaare einen Brief geschrieben und von einem dieser Paare wohltuende Resonanz bekommen. Sie lasse keinen Zweifel an der großen Schuld aufkommen, die sie sich aufgeladen hat.

Es herrschte Totenstille im Gerichtssaal, bevor Staatsanwalt Florian Meixner das Plädoyer vortrug. »Ich hoffe, dass die Angeklagte einen Weg findet, mit dem Ganzen umzugehen. Keiner hat etwas davon, wenn dieses Leben auch noch zu Grunde geht«, sagte er. Zur strafrechtlichen Aufarbeitung gehöre aber auch, den groben Verkehrsverstoß zu benennen und die Rücksichtslosigkeit zu ahnden. Wegen fahrlässiger Tötung hielt er eine Jugendstrafe von 18 Monaten für schuldangemessen, ausgesetzt zur Bewährung. 50 Sozialstunden sollten der Angeklagten Motivation geben, wieder aus dem Haus zu gehen und zu einer gewissen Normalität zurückzukehren. Die Fahrerlaubnis sei für die Dauer von zwei Jahren zu entziehen.

Rechtsanwältin Sabine Ewald vertrat das Elternpaar des verunglückten Beifahrers als Nebenkläger. Sie berichtete, dass dieses Paar bis jetzt nicht in der Lage war, auf die Entschuldigung der Angeklagten einzugehen. Der Brief habe ihnen aber sehr gut getan. Anders reagierte das zweite Elternpaar: Mama und Papa des 16-Jährigen waren anwesend und ließen von ihrem Rechtsanwalt Julian Praun wissen, dass sie keinen Strafantrag stellen und keinerlei Hass oder Rachegefühle gegenüber der Unfallverursacherin spürten. Sie möge das unfassbare Leid überwinden und ein gutes Leben führen können. Das sei ihr ausdrücklicher Wunsch.

Verteidiger Rechtsanwalt Walter Holderle sagte, die Angeklagte sei eine vorbildliche Tochter, wie man sie sich nur wünschen könne – bis zum Unfall. Weder das Bundeszentralregister noch das Fahreignungsregister wiesen bei ihr einen Eintrag auf. Sie habe keine Berührung mit Drogen oder Alkohol, »sie steht dazu, was sie getan hat und leidet nun unsäglich an ihrer Schuld«. Die Strafhöhe stellte er in das Ermessen des Gerichts.

Das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Amtsrichter Dr. Steffen Kramer erkannte auf eine 18-monatige Jugendstrafe mit dreijähriger Bewährungszeit. Die Fahrerlaubnis wird für zwölf Monate entzogen. Das Urteil ist rechtskräftig.

ta