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Helmut und Marga Knittel feiern am heutigen Dienstag das seltene Fest der Gnadenhochzeit nach 70 Jahren glücklicher Ehe. (Foto: Giesen)

»Man muss zusammenstehen und über alles reden«

Ruhpolding – »Ich würde wieder so jung heiraten«, sagt Helmut Knittel, Jahrgang 1927, überzeugt und seine Frau Marga, Jahrgang 1931, mit der er inzwischen 70 Jahre verheiratet ist, stimmt ihm strahlend zu. Beide haben von ihren drei Kindern inzwischen sechs Enkel und acht Urenkel. Alle sind zur sogenannten Gnadenhochzeit der Knittels am heutigen Dienstag aus verschiedenen Teilen Deutschlands angereist.


Helmut Knittel kam als junger Mann im April 1947 nach Ruhpolding. Nach einem Jahr zog seine Frau nach. In Ruhpolding wuchsen auch die drei Kinder der Knittels auf: Dietmar, Jahrgang 1950, Wolfgang, 1952, und Tochter Ute 1954. Anfangs war es besonders für Marga schon wegen der Sprache nicht leicht in dem bayerischen Dorf, kam sie doch, wie ihr Mann aus Mühlacker in Baden-Württemberg, etwa zwölf Kilometer von Pforzheim entfernt. Ursprünglich stammte Helmut Knittel aus Reichenberg im Sudetenland. Im November 1946 zogen er mit Mutter und Bruder wie der Vater zuvor nach Mühlacker.

Helmut und Marga lernten sich beim Tanzkurs kennen – sie war 15 Jahre alt, er 19. Im Fasching, an dem das junge Mädchen nur in Begleitung ihrer Brüder teilnehmen durfte, »funkte es« dann richtig, erster Kuss…, viel mehr war zu der Zeit nicht üblich. An Weihnachten 1948 wurde mit beiden Familien Verlobung gefeiert, die Hochzeit fand am 31. Dezember 1949 statt. Margas Vater war 1945 gestorben, sodass ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin ihre Einwilligung zur Ehe geben musste, denn volljährig war man zu der Zeit erst mit 21 Jahren.

Helmut Knittel wollte eigentlich Volksschullehrer werden und hatte bereits in Böhmen auf der Fachschule einige Semester studiert, aber in Baden-Württemberg war ein anderer Schulabschluss vorgeschrieben, sodass er bei der Elektrofirma seines Vaters zum Gießer und Kernmacher ausgebildet wurde. Seine Verlobte arbeitete erst in einem Kindergarten und dann in einem Pfarrhaushalt. Noch kurz vor Ende des Krieges – am 1. Januar 1945 – war Helmut noch von Reichenberg aus zur Wehrmacht eingezogen worden, kam an die Ostfront. Mit einer Augenverletzung und weiteren Verletzungen überlebte er im Lazarett und konnte am 8. Mai 1945 zurück zu seinen Eltern – Erlebnisse, die bis heute prägend für ihn sind.

Firma Otto Filitz in Ruhpolding aufgebaut

Zurück zu Helmut Knittels beruflicher Karriere: Nach der Ausbildung in der Elektrofirma begann er in der Fabrik von Otto Filitz in Mühlacker zu arbeiten, wo damals 600 Leute täglich 5000 Brillengestelle fabrizierten. Auch dieses Handwerk lernte er von der Pike auf und es gelang ihm bald, auf der Karriereleiter nach oben zu steigen. 1955 bekam er das Angebot, die neue Otto Filitz Firma in Ruhpolding aufzubauen. Einige Jahre später arbeiteten hier 680 Leute und fertigten 9000 Brillengestelle pro Tag.

Helmuts erste Unterkunft für ein Jahr war das kleine Zuhaus des Simandlhofs von Christian Hechenbichler. In dem heute noch bestehenden Haus direkt an der Straße lebte er im ersten Stock mit »Toilette« auf dem Balkon. Auch Marga mit den Kindern besuchte ihn hier manchmal am Wochenende, aber die Wohnumstände waren für die angewachsene Familie nicht gerade ideal. Bald konnten die Knittels jedoch ein kleines Haus mit Gärtchen an der Otto- Filitz-Siedlung mieten, sodass die Familie aus Mühlacker nachkommen konnte. Hier lebten sie acht Jahre lang, bis 1964 das eigene Haus an der Brander Straße gebaut wurde, wo Helmut und Marga sich bis heute wohl fühlen.

»Man muss sich Freiraum lassen«

Offensichtlich ist das Paar bis heute glücklich miteinander, was sich nicht zuletzt an der guten geistigen und körperlichen Gesundheit beider zeigt. Viele junge Leute schaffen die Ehe oft nur ein paar Jahre. Haben die Knittels die Ehe nie bereut? Gab es nie eine größere Krise? »Nein, wir haben geheiratet, weil wir uns geliebt haben«, sagt Helmut. »Wir haben unser Leben gemeinsam geplant.« »War da nie eine andere Frau?« »Nein, ich habe mich nie ernsthaft für andere Frauen interessiert«, so der Jubilar. »Ich hatte auch immer viel Arbeit und viele Überstunden.« Denn nach dem Aufbau des Werks in Ruhpolding musste Knittel während der Woche zurück nach Mühlacker, um auch hier die Firma in Schwung zu bringen.

In seiner Freizeit war er ein begeisterter Musiker. Er lernte schon in seiner Jugend Geigespielen, später Gitarre, Klarinette, Keyboard und Akkordeon – Instrumente, die er in seinem »Ruhestand« viele Jahre Ruhpoldinger Kindern beibrachte.

»Man muss zusammenstehen und über alles reden«, ist das Rezept von Marga für eine glückliche Ehe. Außerdem sollten sich beide immer genügend Freiraum lassen, meint sie. Alle Unternehmungen in ihrer Freizeit haben beide allerdings immer gemeinsam gemacht. »Nie wäre einer von uns allein ins Kino oder ins Theater gegangen«, sagt Marga Knittel. Auch er sei in seiner langen Abwesenheit von zu Hause nie allein in eine Kneipe gegangen, so Helmut. Tochter Ute Brix, die mit ihrer Familie in Inzell wohnt, bestätigt, dass ihre Eltern in ihrer Erinnerung immer eine sehr glückliche Ehe führten. »Meine Mutter war Hausfrau und Mutter aus Leidenschaft«, sagt sie. »Haus und Garten waren immer topp und sie selbst immer gepflegt.«

Auch die drei Kinder der Knittels führen gute Ehen und die sechs Enkel sind alle ebenfalls schon verheiratet. »Wir haben es ihnen vorgemacht«, so Marga. Wie stellen sich die Knittels die Zukunft vor? »Wir hangeln uns von einem Highlight zum anderen«, freut sich Marga. Denn alle Geburtstage und Jubiläen werden zusammen mit der Familie gefeiert. Und die Kronjuwelenhochzeit in zehn Jahren wäre sicherlich ein lohnendes Ziel. gi

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