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Katl Zeller (von links), Marita Gschwandtner, Katrin Stadler und Tobi Hegemann sorgten als »Neurosenheimer« im Magazin 4 für musikalischen Genuss. (Foto: Mergenthal)

Yogajodelnd auf der bayerischen Route 66

So bunt und herzerfrischend wie ihr Bühnenbild, ihre Kleidung und ihr instrumentales Sammelsurium war die »bayerisch-neurotische Lebensmusik« der »Neurosenheimer« im Bad Reichenhaller Magazin 4. Mit Gstanzln stellten sich die Musiker selbst vor und erklärten ihren »Hahn im Korb« an der Tuba: »Er is' unsa oanziga Mo, weil's nur er mit uns aushoit’n ko.«


Die Gruppe habe sich »Neurosenheimer« genannt, weil die drei Gründungsmitglieder von 2009 »Neuzugezogene« in Rosenheim waren: die Lehrerin Katl Zellner aus Mirskofen bei Landshut ebenso wie die Sozialpädagogin Marita Gschwandtner und der Förster Tobi Hegemann aus Andechs. Die einzige »Altrosenheimerin«, die Musikpädagogin Katrin Zeller, kam angeblich durch ein Missverständnis dazu. Sie habe das Ganze für ein Musiktherapieprojekt gehalten, verriet sie schmunzelnd. »Ich habe damals eine schwierige Phase in meinem Leben gehabt. Und es hot g'hoifa«. Die Treffen seien Therapiestunde und Probe in einem gewesen.

»Unsere Neurosen hamma austherapiert, jetzt kannt’ ma wieder wos braucha. Ma find’ bei jedem wos, wenn ma amoi ofangt«, forderten die drei Damen das Publikum auf, sich vertrauensvoll zu öffnen, damit die Band wieder Stoff für neue Lieder hat. Dies war gleich die Einleitung zum nächsten Lied, das die Bildungseltern, die ihre Kinder an der VHS in jeden Kurs einschreiben, genauso aufs Korn nahm wie die Frauen, die auf dem Wirtshausklo »in Abfahrtshocke pieseln«, um ja nicht die Klobrille zu berühren oder die Hypochonderin, die im Internet nach ihren Krankheiten sucht, weil ihr Arzt bei ihr nichts mehr findet.

Marita als Sozialpädagogin kündigte anschließend ein Kennenlernspiel zur gegenseitigen Annäherung an: Durch Aufstehenlassen eines Teils der Gäste kam heraus, wer sein Essen in der Salzstadt mit Himalaya- oder Meersalz würzt – fast niemand – und wer in den letzten Tagen die kältesten Temperaturen hatte. Auf originelle Weise bezog das Quartett seine Zuhörer immer wieder ein, ließ sie auch öfter bei Refrains mitsingen, etwa beim »Yogajodler«, der bayerischen Gebirgssound mit indischem »Ohmen« vermischt.

Mit Esprit und Leichtigkeit, mit feinem Humor ohne Schenkelklopfer und leisen, nachdenklichen Untertönen wurden die verschiedensten Lebensthemen behandelt – wie die Dominanz des Handys, das die traute Zweisamkeit am See stört, weil der Ehemann unbedingt im Regenradar nachschauen muss, ob das Wetter auch hält. Erst, als er bei der Gipfelrast keinen Empfang hat, kann seine Frau aufatmen: »Endlich streichelt er jetzt mi und net sei Handy.«

Der »Tante Ilse« haben die Vier eine feinsinnige Hymne auf das Älterwerden und Im-Herzen-Jungbleiben gewidmet und den Zwiefachen »Oide Kath« haben sie – »wesentlich motivierender für die Partnersuche« – umgedichtet: Ihre Kath ist eine gestandene Frau, die nicht »jeden depperten Trend« mitmacht, noch Nudeln statt Muffins backt und nicht bei Facebook ist, sondern echte Freunde hat und beim Ratschn und Kaffeetrinken alle Neuigkeiten erfährt.

Die Multiinstrumentalisten untermalten ihre Lieder mit passender handgemachter Musik auf Querflöte, Nasenflöten, Klarinette, die Marita einmal wie Klezmer-Musik besonders kraftvoll und ausdrucksstark blies, Ukulele, Melodika, Ziach, Akkordeon oder Glockenspiel – und natürlich Tobis omnipräsenter Tuba für den Hauch Lässigkeit und Erdung.

Gesanglich waren die Stücke ein Genuss. Bei den mehrstimmigen Passagen imitierten einzelne Stimmen öfter auf köstliche Art Begleitinstrumente. In einem Winterlied besang Marita ihre Kindheit in Andechs, wo die stereotype Frage ihrer Mutter bei Temperaturen unter fünf Grad war: »Host du a lange Unterhosen o?« Superironisch war der »Weidasong«, ein extra als potenzieller Radio-Hit gedichtetes Lied ohne Inhalt, um die Hörer nicht zu überfordern.

Die Geschichten rund um die Lieder bezauberten ebenfalls. Etwa, als Katl ihre Nöte als Pendlerin hinter Lkws auf der B15 zwischen Rosenheim und Landshut gestand. Seit sie aber im Kopf habe, dass diese Bayern von Nord nach Süd durchquerende Straße eigentlich die »bayerische Route 66« ist, »fahr ich diese Strecke dermaßen gelassen«, verriet sie. Mit zwei flotten Zugaben über Mamas und blöde Fragen und einem Aussischmeißer-Gutnachtlied verabschiedeten sich die Neurosenheimer von ihren begeistert applaudierenden Gästen. Veronika Mergenthal

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