Einer wie Andreas Wiedermann. Der löst das ganze »Qui-pro-quo«, indem er es von seiner Undurchschaubarkeit befreit, schon im Vorspiel die Konstellationen klärt und gar nicht erst jene Langeweile aufkommen lässt, die die à la Romana kostümierte »opere serie« so spröde macht: Er verlegt mit dem genialen Bühnenbildner Udo Ebenbeck die ganze Geschichte ins Zirkusrund. Ist doch eh so viel die Rede von der »Arena«, in der Akt II von »La Clemenza di Tito« spielt. Hier soll Sesto, nachdem er, angestachelt von der rachelüsternen Vitellia, das Kapitol in Brand gesteckt, verurteilt werden. Was dank der Milde des edlen Titus, dem er nach dem Leben trachten sollte, nicht geschieht. Und was zu einem grandiosen Schluss des »Zauberflöten«-Vorgängers führt. Im Circus Krone-Bau fand der gebürtige Straubinger Andreas Wiedermann die gar nicht so »entlegene« Münchner Spielstätte für seinen »Titus« – und gewann damit auf der ganzen Linie.
Das Premierenpublikum ergötzte sich aufs Köstlichste. Die Sängerinnen und Sänger waren allesamt nicht nur Kehlen-, sondern auch richtige Zirkusakrobaten. Was »Ohs« und »Ahs« und Zwischenapplaus hervorrief. Radschlagen und durch Ringe purzeln, Fünfertürme bauen und Stelzengehen waren da noch Kinkerlitzchen für die jungen, geschickten, durchtrainierten Gesangskünstler(innen). Sie jonglierten wie nix mit Drehtellern auf Stangen und Sägemehlsackerln in Herzform, passend zu den verzwickten Herzensangelegenheiten, die im »Titus« am Brodeln sind. Nur einer beteiligte sich nicht an den zirzensischen Spielchen: Titus (Hui Jin), der sich am liebsten auf dem »Circus Krone«-Balkon dem Volk zeigte, das der 19 Mann starke, mit Furor und Spiellust agierende Chor in heutiger Alltagskleidung verkörperte.
Die ganze Manege nützen Wiedermann & Co. für eine außerordentliche, wohl kaum je in dieser Form gezeigte Interpretation einer »opera seria«, die so viel Komödiantisches wir nur möglich versprühte und rundweg so unterhaltsam wie spannend, so einfallsreich wie leidenschaftlich daherkam. Die Protagonisten waren wieder perfekt auf Draht: Nam Young Kin als »Diva« Vitellia, Reinhild Buchmayer als herrlich leidender Sesto, Katharina Ruckgeber als bildschöne Servilia, Carolin Ritter als quirliger Annius und Thorsten Petsch als viriler Publio – alle von Kostümbildern Bianca Schmid-Hedwig als nette Zirkusfiguren gekleidet, von Stella Gottwald kunstvoll maskiert.
Das auf eine Elferschaft eingedampfte, brillante Orchester spielte unter Ernst Bartmann einen einschmeichelnden, transparenten Mozart – den es an den hochkochenden Stellen überraschend neckisch verzerrte und verzog. Wie grandios allein diese Idee! Schmerz und Zerrissenheit wurden bei Mozart akustisch noch nie so unter die Haut gehend erlebbar. Bis zu Alban Berg reichte die Wiener Klassik-Melange, Lulu stand plötzlich im Zirkusrund, und Wozzeck litt als Sesto. Schon schade, dass diese einzigartig gelungene, jedem großen Opernhaus zur Ehre gereichende Produktion nur einmal (am 15. September) wiederholt wird. 20 Uhr ist allerdings ein zu später Beginn. Man kommt erst um 23 Uhr aus der Zirkusoper. Dafür aber mit Bildern gesättigt, die unvergesslich bleiben. Karten gibt es noch bei München Ticket, Telefon 089/54 81 81 81. Hans Gärtner