Say ist eine Künstlerpersönlichkeit, die in keine Schublade einzuordnen und nicht im Vergleich zu anderen Tastenvirtuosen messbar ist. Er ist ein genialischer Musiker vom Scheitel bis zur Sohle mit einer Ausdruckspalette völlig eigener Prägung. Seine Fingertechnik besitzt akrobatische Fähigkeiten und sein Musizieren ist personifizierter Rhythmus, aufgeladene Energie und seelische Emphase. Die Musik fließt aus ihm heraus in die Fingerspitzen hinein und der ganze Mensch ist daran beteiligt. Mal singt oder brummt er mit, dann wieder stampft er mit den Füßen auf den Boden und bringt das Podium zum Mitschwingen. Aber das ist fern aller Show-Absichten oder gezielter Akrobatik-Manier. Es ist vielmehr in jedem Moment seine elementare Identifikation mit der Musik und da entsteht eine Symbiose zwischen dem Klavier und dem Spieler. Das ist auch das zentrale Erlebnis für die Zuhörer, die er damit voll in den Sog der Klangwerdung hineinzuziehen vermag.
Ob er voll in die Tasten greift bei Ferruccio Busonis Klavierbearbeitung der Violin-Chaconne d-Moll von Johann Sebastian Bach oder seine eigene Klavierfassung von drei Sätzen aus Strawinskys »Pétrouchka«- Ballett Gestalt werden lässt, sein Spiel ist stets gekennzeichnet von starker Eigenprägung, von Eindringlichkeit, Kraft und Intensität des Ausdrucks, der man sich nicht entziehen kann und auch nicht will. Es ist ein Genuss, ihm zuzuhören, wie er Strawinskys Pétrouchka in rasendem Wirbel tanzen lässt. Er nimmt viel Pedal, liebt die vollmundige Klangmöglichkeit und will die Bandbreite der Orchesterfarben auf das Klavier übertragen. Trotzdem ergibt sich eine Durchhörbarkeit der Struktur dieser Musik. Aber er findet auch immer wieder zurück zur Subtilität, zum leisen Nachhorchen der Tonbildung.
So auch bei Bernd Alois Zimmermanns Miniaturen aus dessen »Enchiridion«. Es sind kleine Stücke zum Teil feinen Klingens, in denen Say auch seine Fähigkeit zur Poesie und zur Zartheit des Anschlags unter Beweis stellt, dann auch wieder geballte Kraft einsetzt und die Akkorde mit Fußstampfen unterstützt. Dieser Wechsel zwischen dem Extrem zarter Klangsubtilität und dem Auftrumpfen energiegeladener Kraft setzt er auch bei seien eigenen Werken ein, angereichert mit vielfarbigen Zwischentönen und reich variierter Dynamik und Rhythmik. Der Block der eigenen Werke gerät besonders faszinierend in seiner Ernsthaftigkeit und genussreich in seiner Vielgestaltigkeit. Er beginnt mit seiner Komposition »Black Earth«, die inzwischen schon ein Say-Klassiker ist, und geht dann über in Klangfolgen, die immer mehr improvisatorischen Charakter annehmen, wobei nicht auszumachen ist, ob er aus dem Augenblick improvisiert oder ein Arrangement verschiedener seiner Kompositionen zusammenstellt. Er untermischt jazzige Rhythmen, variiert unter anderem Gershwins »Summertime«, lässt virtuos agile Läufe wie murmelndes Wasser fließen, kennt romantisch empfindsame Melodik ebenso wie Urlaute in exzessiver Wildheit. Den Begeisterungstaumel schürt er zu guter Letzt noch mit der Jazzvariation von Mozarts »Türkischem Marsch«. Elisabeth Aumiller