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Für ein beglückendes zweites Traunsteiner Sommerkonzert im Kulturforum Klosterkirche sorgten (von links) Sebastian Schmidt, Nanette Schmidt, Laura Ruiz Ferreres, Andreas Willwohl und Bernhard Schmidt. (Foto: Benekam)

Virtuos aus der Seele gespielt

Der Geist der Traunsteiner Sommerkonzerte wirkt wie ein Divertimento auf die von der Pandemie geplagte Gesellschaft. Dementsprechend gut kommen sie im Kulturforum Klosterkirche an: Aufhellend, leicht euphorisierend und zugleich entspannend.

Andere Länder, andere Sitten, andere Klänge: Dass die Musik im Globalen eint und zum besseren gegenseitigen Verständnis führt, ist kein Geheimnis, sondern für die Organisatoren der Traunsteiner Sommerkonzerte Programm. Die kammermusikalischen Werke entstammen nicht nur verschiedensten Stilen und Epochen, sie fokussieren auch in jedem Jahr ein bestimmtes Land. In diesem Jahr stehen Israel und jüdische Musik im Mittelpunkt und überraschen die Klassikfans mit beseelenden Ausflügen in unerhört spannende neue Hörerlebnisse.

Im zweiten Konzert der Kammermusikreihe wurde der Bogen zu Israel vom Mandelring Quartett und der Klarinettistin Laura Ruiz Ferreres gespannt: Dem Klarinettenquintett von Tvzi Avni (1927), einem der bedeutendsten Komponisten Israels, wurde der Streichquartettsatz D 703 (aus einem unvollendeten Streichquartett) des 23-jährigen Franz Schubert, sowie Brahms‘ berühmtes Klarinettenquintett h-Moll op. 115 aus dem Jahre 1891 gegenübergestellt.

Als Komponist positioniert sich Tvzi Avni, der in Saarbrücken geboren und 1935 nach Palästina emigrierte, auf der Seite jener, die mit ihrer Kunst im Israel-Palästina-Konflikt versöhnen wollen – »Make Music, not war« könnte man sagen. Seine Kompositionen sind geprägt von Beziehungen zur jüdischen, arabischen und deutschen Musik – und das hört man ihnen an. Schon die Bezeichnungen der sechs Sätze von Avnis Klarinettenquintett lassen die intensive Auseinandersetzung mit tiefschürfenden Themen vermuten: »Der unerwartete Gast«, »Die Diskussion des Komitees«, »Die Anwesenheit der Vergangenheit«, »Spinnenfrühstück«, »Abendliches Selbstgespräch« und »Das ist keine Tarantella«.

Zuhören und den andern »aussprechen« lassen, sich in Themen einbringen, die (musikalischen) Gedanken der anderen (Instrumental-) Stimmen weiterspinnen, neue Möglichkeiten (Rhythmen) suchen und ergründen, aufkommende Emotionen zulassen und sie in demografische Bahnen lenken – so funktioniert ein virtuoses Ensemble. Und genauso gelingt eine empathische zwischenmenschliche Verständigung. Avnis Musik ist also hörbare und somit Kunst gewordene Völkerverständigung.

Im musikalischen Dienste dieser Idee schlugen das Mandelring Quartett und Klarinettistin Laura Ruiz Ferreres weitere Brücken: Virtuose Spannungen – zwischen aufgeregt dissonant-furiosen und versöhnlich antastenden harmonischen Linien gingen die Violinen (Sebastian Schmidt und Nanette Schmidt), das Violoncello (Bernhard Schmidt) und die Viola (Andreas Willwohl) in einen lebendigen Austausch und vermittelten einen mitreißenden Eindruck von Avnis musikalischer Philosophie. Atemberaubend und maßgeblich Stimm(-ungs) führend war das Klarinettenspiel von Laura Ruiz Ferreres: Hochsensibel, fein interpretiert und tief nachempfunden – ein Hochgenuss.

Nur einen vollendeten ersten Satz brachte Franz Schubert im Dezember 1820 zu Papier: Der Quartettsatz in c-Moll D 703, Allegro assai. Der Grund für den Abbruch des Streichquartetts bleibt ungewiss. Doch dieser Kopfsatz, der geprägt von großem Variantenreichtum ist, fügt sich, wenn auch in anderer Tonsprache, so ganz ins Konzept des Konzertprogramms. Drei Jahre später brachte ihn damals Johannes Brahms als »Nachgelassenes Werk« Schuberts zur Veröffentlichung. Ein herzergreifendes kammermusikalisches Juwel, das in der Interpretation des Mandelring Quartetts mühelos Eingang in die Herzen der Traunsteiner Musikliebhaber fand.

Klare Absprachen, enorme Virtuosität und eine weite dynamische und expressive Bandbreite legten die Musiker auch bei der Interpretation des viersätzigen Klarinettenquintetts h-Moll op. 115 von Brahms an den Tag: Als eines der Lieblingswerke der Kammermusikliteratur zieht es ein kompositorisches Resümee von Brahms' Leben. Das Quintett speist sich weniger aus den selbstständigen Einzelstimmen, als dass es mit klanglicher Homogenität, in der die Klarinette mit besonderem Farbwert heraussticht, überwältigt.

Laura Ruiz Ferreres erwies sich im Zusammenspiel mit dem Mandelring Quartett als herausragende Klarinettenvirtuosin: Technisch und energetisch tadellos – Zeit anhaltend schön und, wie das gesamte Konzert, durch und durch vitalisierend aus der Seele gespielt. Dafür gab es am Ende einen kaum enden wollenden Applaus und lautstarke Bravorufe.

Kirsten Benekam

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