»Beste Mozart-Interpretation« – das macht natürlich neugierig auf die Wiedergabe des Streichquartetts KV 421. Nicht weniger gespannt dürfte man aber auf das frühe Werk von Friedrich Gulda sein. Der 20-jährige (Schüler des steierischen Komponisten Joseph Marx) schrieb bereits mit seinem Streichquartett fis-Moll (1950/1951) ein meisterhaftes, originelles, eigensinniges Werk, voll schwelgerischer Klangsinnlichkeit, aber auch wehmütiger Melancholie und, Gulda-typisch, streckenweise unbändigem Rhythmusdrive. Interessant ist, dass sich bereits in diesem Frühwerk die Verweigerung des Herkömmlichen, streng Reglementierten ankündigt. Das heißt, schon in der Studenten- bzw. Lehrzeit ist Gulda auf der Suche nach künstlerischer Eigenart und schlägt eigene Wege ein: Konsequent konterkariert er in seinem Streichquartett die herkömmliche strenge Sonatenhauptsatzform, leistet sich »seine Freiheiten«.
Mit dem Streichquartett d-Moll D 810 (Beiname »Der Tod und das Mädchen«) verfolgte Franz Schubert 1824 nach eigener Aussage ein konkretes Ziel: Nach dem Scheitern seiner Opernprojekte, u. a. »Fierabras«, schrieb er an seinen Freund Leopold Kupelwieser: »... dagegen versuchte ich mich in mehreren Instrumental-Sachen ... überhaupt will ich mir auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.« Der angestrebte Weg zur »großen Sinfonie«, so kalkulierte Schubert, sollte also über den Umweg anspruchsvoller Kammermusik gehen. Dazu zählt zweifellos das d-Moll-Streichquartett, das sich mit selbstbewusstem Anspruch gezielt an die Öffentlichkeit wendet. Es ist von weitaus höherem kompositorischen und spieltechnischen Niveau als die vorher für das häuslich-gesellige Musizieren im Familie- oder Freundeskreis geschriebenen Kammermusiken oder die für Liebhaberorchester komponierten frühen Orchesterwerke Schuberts.
Im Variationssatz verwendet Schubert als Thema ein Selbstzitat, eine Melodie aus seinem Claudius-Lied »Der Tod und das Mädchen« (1817). Beispiele solcher Zitate gibt es viele, und man kann behaupten, dass es eine Eigenart von Schubert gewesen ist, eigenes Liedmaterial als Thema für Variationssätze zu verwenden (Beispiele sind u. a. Forellenquintett, Wandererfantasie, Oktett D 803). Es gehörte geradezu zu seiner Strategie, wertvolle Gesangsmelodien, auch aus gescheiterten Opernprojekten, durch Integration in seine Kammermusik hinüberzuretten. Übrigens ist es nicht nötig, den Titel »Der Tod und das Mädchen« zu kennen. Das fast durchgängige Moll der vier Sätze vermittelt auch ohne Worte die Auseinandersetzung des Menschen mit der unerbittlichen Erkenntnis seiner Endlichkeit. Die abschließende Tarantella erweckt den Eindruck eines rasenden Totentanzes, ein Finale-Modell, das Schubert später wieder in anderen Werken anwendet. Der radikal-düstere Tonfall des d-Moll-Quartetts prägt Jahre später in konsequentester Weise die gesamte schwermütige »Winterreise«. Imke von Keisenberg