Was tun Frauen in einer Gesellschaft, in der sie sich nicht öffentlich zu Wort melden dürfen? Sie kommunizieren non verbal, ohne Worte, in einer Symbolsprache, die innerhalb ihres Kulturkreises dennoch jeder versteht: Diese ethnologischen Hintergründe sind Teil der hoch interessanten neuen Doppelausstellung in der Städtischen Galerie Traunstein, die dort bis 29. Oktober zu sehen ist.
Der Titel »Schmuck der Frauen – Stolz der Männer« zeigt aus Privatsammlungen schönen, kunstvoll gearbeiteten Silberschmuck der Berber aus den Maghreb Staaten, Marokko, Algerien, Tunesien, sowie Textilkunst aus der Türkei, so genannte Oyas. Gemeint sind die mit bunter Spitze immer per Hand fantasievoll umrahmten Kopftücher, die Eingeweihte nicht nur auf die Region hinweisen, wo sie herkommen, sondern auch eine Symbolsprache sprechen.
Vermittelt wurde die Ausstellung durch den Traunsteiner Max Leonhard, Vorsitzender der Freunde islamischer Kunst und Kultur, der immer wieder große ethnologische Ausstellungen in Traunstein organisiert hatte. Bei der Vernissage (wir berichteten) führte die Leiterin der Städtischen Galerie, Judith Bader, anstatt eines Vortrags ein Gespräch mit den Sammlern und Gestaltern der Präsentation, wobei die wichtigsten Aspekte dieser einerseits historisch volkskundlichen Ausstellung zur Sprache kamen, andererseits dieser bis heute angewendeten besonderen Handwerkskunst.
Am Ende der Vernissage erschien auch der türkische Bildungsattaché Dr. Atkin Deveci mit seiner Frau, der Grüße des türkischen Generalkonsuls Süalp Erdogan aus München übermittelte und sich sehr erfreut über die großartige Präsentation zeigte.
Oyas – textile Volkskunst
Wenn man heute in die Türkei fährt, kann man überall Oyas entdecken, meist an den Kopftüchern der Frauen. Falls man sie auf den ersten Blick nicht entdeckt, ist der Grund, dass die Oyas oft sehr klein und zart gearbeitet sind, immer wieder anders aussehen und man sich als Tourist einer fremden Frau nicht zu sehr nähern kann, um die Kopftücher zu betrachten. Innerhalb der letzten etwa zehn Jahre hat der Fotograf und Journalist Gerard Maizou Porträts von Frauen mit Oyas aus den unterschiedlichsten Orten der Türkei aufgenommen. Gut ist auf den Fotos zu erkennen, wie unterschiedlich sie auf die Anfrage, sie zu fotografieren, reagierten: viele freuten sich, waren stolz, andere eher zurückhaltend, skeptisch ohne ein Lächeln oder ließen sich nur von hinten (wenige gar nicht) fotografieren.
Zusammen mit seiner Frau, der Orientalistin Dr. Kathrin Müller, bereist Gerard Maizou seit gut 40 Jahren die Türkei und beide sammeln die mit bunter Oya-Spitze verzierten Kopftücher. Dabei sind sie verschiedenen Bordüren in jeder Region verschieden und können oft einen bestimmten Symbolwert haben, den nur Kenner entschlüsseln können. Viele Oya-Blüten lassen sich eindeutig nach einer Blume, zum Beispiel Rose oder Nelke, identifizieren je nach Form und Farbe. Blaue kelchförmige Blüten können Hyazinthen sein, mit fiedrigem Kranz hingegen eher Nelken.
Einige Blumennamen wurden als Oya-Namen personalisiert: als Farah Diba, Frau des persischen Schahs, auf Staatsbesuch in der Türkei war und die Zeitungen viel darüber berichteten, entstand die Oya-Arbeit »Dibas Wimpern«. Eine andere in der Türkei hoch verehrte Person ist der Sänger und Dichter Zeki Müren (1931 bis 1996), dem viele Oya-Arbeiten gewidmet wurden, zum Beispiel »Zeki Mürens Hände«, »Zeki Mürens Bauchnabel« und sogar »Zeki Mürens Hoden« – recht pikant für einen Menschen, der heute der LGBT-Gruppe zugerechnet würde.
Schmuck fasziniert junge Studenten
Nicht weniger interessant und aufschlussreich für die Kultur der Berber ist der im ersten Stock der Städtischen Galerie gezeigte oft schwere Silberschmuck. Als damals noch mittellose Studenten reisten die beiden Freunde Paul Seltner und Horst Schmidt, beide aus Rothenburg, einmal durch Marokko, wo sie schnell fasziniert von dem wunderschön gearbeiteten Schmuck waren, der überall auf Straßen und Plätzen zum Kauf angeboten wurde. Um etwas davon zu erwerben, tauschten sie eine Kamera und eine Armbanduhr ein.
In den folgenden Jahrzehnten reisten sie immer wieder auch in andere Länder Nordafrikas und entwickelten sich zu Experten und passionierten Sammlern des Silberschmucks. Zusammen mit Judith Seltner organisieren die Drei immer wieder viel beachtete Ausstellungen und fungieren als Ansprechpartner für Interessierte. Der Schmuck war immer Ausdruck der Stammestradition, Rang und Status einer Familie und diente oft als Aussteuer für die Frau.
Ging es der Familie gut, konnte in immer mehr Silberschmuck investiert werden, der mit viel Mühe, handwerklichem Geschick und Kreativität angefertigt wurde. Waren die Zeiten schlecht, musste das Silber eingeschmolzen und verkauft werden.
In dieser wunderbaren Doppelausstellung wird der Betrachter sensibilisiert für den Reichtum an künstlerischen Mitteln und Ausdruckskraft der Volkskunst, für die handwerklich bewundernswerten Arbeiten und die Fülle an unterschiedlichen Mustern, Zeichen und das vielfältige Repertoire an Bildinhalten, die die Vorstellungskraft und damit unsere Erkenntnisfähigkeit fördern können.
Die Ausstellung in der Städtischen Galerie dauert bis Sonntag, 29. Oktober, und ist von Mittwoch bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Am Mittwoch 27. September, um 11 Uhr führt die Leiterin der Städtischen Galerie, Judith Bader, durch die Ausstellung, am Freitag 29. September, um 19 Uhr findet der Vortrag »Oya. Von osmanischer Mode zu heutigem Design« mit den Ausstellungsmachern statt. Auf Anfrage sind Führungen für Gruppen und Schulklassen mit museumspädagogischem Angebot außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Anmeldung unter der Telefonnummer 0861/164319.
Christiane Giesen