Im Vorwort schrieb Karl Kraus, die Aufführung seines Werkes würde »nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen«, und »Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten. Denn es ist Blut von ihrem Blute und der Inhalt ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren, keinem wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung zugänglichen und in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten.« Dabei setzt Karl Kraus nur die Vorgänge im Ersten Weltkrieg in Szene, denn »die Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog«, wie er »Die letzten Tage der Menschheit« nennt, entstand zwischen 1914 und 1922. Vor den sicherlich noch unfassbareren Gräueln im und vor dem Zweiten Weltkrieg konnte er nichts wissen, da er drei Jahre vor Ausbruch dieses Krieges starb.
Dem Darsteller Wigbert Dehler, der lange als Fernsehjournalist tätig war und sich in seiner Freizeit oft und gerne mit der Schauspielerei befasst, gelang es in seiner szenischen Lesung ausdrucksvoll und mit einer unglaublichen Variationsbreite von Stimme, Modulation und der Nachahmung von Stimmen und Dialekten, die anspruchsvollen Texte lebendig zu machen. In der Lesung glaubte man so, das liebe süße Mäderl von der Straße und eine keifende Hausfrau ebenso vor sich zu sehen wie den bellenden Generalstabschef, einen unterwürfigen Militär oder den jodelnden Ganghofer. »Die grellsten Erfindungen sind Zitate« schreibt Karl Kraus im Vorwort.
Besonders am Anfang der Darbietung schien so manches noch lustig, wenigstens zum Schmunzeln, aber je mehr der teils unfassbaren, kleinen Dialoge und Monologe sogenannter Normalbürger der Zeit und der führenden Köpfe in Politik und Wirtschaft erklangen, desto mehr gefror dem aufmerksamen Hörer auch nur der Ansatz jedes Amüsements. Die Kombination und Konfrontation der Zitate miteinander, das Unterbrechen der Handlung durch einen kommentierenden Dialog zwischen dem »Optimisten« und dem »Nörgler« gab ein modernes, absurdes Theater auf.
»Wortbarrikaden gegen die Herrschaft der Banalität«, wie Karl Kraus einmal seinen Landsmann Nestroy charakterisiert hatte. Nach gut zwei Stunden in der gemütlichen Atmosphäre des kleinen Cafés waren wohl alle Besucher erschöpft – von Konzentration, aber auch von der »Un-Sprache und Anti-Sprache«, die eine »Schreckensleistung dieses Werkes, gemischt aus Erdschlamm und Sintflut« ist, wie es Berthold Brecht ausdrückte. Es wäre zu wünschen, diese szenische Lesung könnte vor mehr Zuhörern noch einmal stattfinden. Christiane Giesen