Durchgetaktete Tagesabläufe und ein Leben im »Hamsterrad« unter dem Motto »schneller, höher, weiter« sind vielen in unserer schnelllebigen Gesellschaft nicht fremd. Was aber passiert, wenn wir ganz bewusst einmal NICHTS machen? Genau damit haben sich die beiden jungen Künstler Robert Heigl jun. und Lisa Klauser aus Traunstein beschäftigt. Und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Zeit für einen Besuch in der Ausstellung »NICHTS für Dich«, die noch bis 30. März in der Alten Wache im Traunsteiner Rathaus zu sehen ist.
Offensichtlich hat das NICHTS eine große Anziehungskraft. Seit der Eröffnung des ungewöhnlichen künstlerischen Experimentierraumes herrscht reger Andrang. Große Plakate im Stadtbereich, die paradoxerweise für NICHTS Werbung machen, wecken die Neugier. Aufsteller vor dem Rathaus, die hohe Willkommensrabatte »auf NICHTS« versprechen und Postkarten mit der Frage »Hast Du Zeit für NICHTS?« lenken die Schritte hin zu einem künstlerischen Forschungslaboratorium für Erfahrungen der ganz anderen Art.
»Gar NICHTS« für rund 200 Euro zu haben
Nach dem Betreten der Ausstellung wechselt der Gesichtsausdruck vieler Eintretenden von Neugier zu Ratlosigkeit, Irritation oder Heiterkeit. Bunte Bilder mit NICHTS drauf sind zu sehen, leere Zeitungsständer, in denen NICHTS Neues zu finden ist außer Papierfliegern, Kleiderbügel mit einem »Hauch von NICHTS« als »Streetwear für Selbstbewusste« oder aufwendig präsentierte, luxuriöse Schmuckschatullen, in denen »Gar NICHTS« für rund 200 Euro verkauft wird. Was ist hier los?
Aufklärung versprechen Robert Heigl jun. und Lisa Klauser, die – um die Inszenierung perfekt zu machen – auch noch als zuvorkommende »Verkaufsberater« in ihrer Ausstellung auftreten. »Das Thema hat mich bereits vor sechs Jahren umgetrieben«, erzählt Heigl, als er in München noch als Teil des Künstler-Kollektivs »Einmal Utopie bitte« mit Performances unterwegs war. Damals sei ihm das unaufhörliche Großstadt-Stakkato aufdringlicher Werbebotschaften aufgefallen, »die uns ständig erzählen wollen, was wir angeblich alles für unser Glück brauchen«. »Aber«, fügt der 36-Jährige hinzu, »diese ganzen Werbeflächen, Clickbotschaften im Handy und teuren Zeitungsanzeigen muss man sich erstmal leisten können, das kostet alles viel Geld«.
»Es fehlt uns nichts«
Durch diese gutgeölte Aufmerksamkeits-Maschinerie der permanenten Bedürfniserweckung werde beständig der Eindruck eines Mangels in uns erweckt, »um das Geschäft am Laufen zu halten«. »Wir behandeln uns oft selbst wie ein Produkt und sind enttäuscht, weil jeder nur auf die äußere Verpackung schaut.« Angesichts von Ressourcenverknappung, Klimawandel und weltweit ungerechter Verteilung der Güter sei es aber an der Zeit, zu fragen: »Wie schaffen wir es, uns für Genügsamkeit einzusetzen und den Blick dafür zu öffnen, dass uns nichts fehlt?«, erklärt Heigl, der als Heilerziehungspfleger auch die Schattenseiten der Gesellschaft kennengelernt hat. Gerade bei den Senioren zeige sich in der Ausstellung »eine große Offenheit für unsere Anliegen«.
»Uns geht es darum, die Leute wieder ins Gespräch miteinander zu bringen und einen Raum zu öffnen, um sich selbst ganz neu begegnen und wahrnehmen zu können«, erklärt Lisa Klauser. Die 33-Jährige bringt ihre berufliche Erfahrung als Restaurantfachfrau, Sozialarbeiterin und Musikerin in das Kunst-Projekt mit ein. Nicht zuletzt deshalb laden auch Sitzgruppen mit Tee- und Saftausschank zum Verweilen und Diskutieren ein. »Wir wollen damit zeigen, dass in unseren Städten Zonen oder Treffpunkte wichtig wären, wo man sich ohne Konsumzwang aufhalten und ins Gespräch kommen kann«, ergänzt Klauser.
Auf der Suche nach einem Pop-up-Store auf Zeit in Traunstein hätten beide zwar genügend leerstehende Geschäfte gefunden, aber kein Vermieter wollte seinen Laden für ein Kunstprojekt für wenig Geld zur Verfügung stellen. »Es wäre doch interessant zu sehen, wie solche Projekte die Wahrnehmung von Traunstein oder Ideenprozesse in der Stadt verändern«, sagen Klauser und Heigl. Und so verkaufen auch sie in der Ausstellung NICHTS, um damit auf großen Werbeflächen für gehörig Irritation sorgen zu können. Andererseits: Bietet das Kunstlabor auf Zeit auch die Möglichkeit, im Schaukelstuhl für die Produktion von NICHTS zu arbeiten und dafür Lohn zu kassieren. So bietet die Ausstellung »NICHTS für Dich« in vielerlei Hinsicht überraschende Einsichten.
Geöffnet ist bis 30. März jeweils von Montag bis Freitag von 9 bis 13 Uhr und von 14 bis 18 Uhr sowie am Samstag von 9 bis 13 Uhr.
Axel Effner