Die Einleitung mag noch an die symphonische Schwermütigkeit Tschaikowskys erinnern, aber bald geht es so richtig eigenwillig los: Mit Sticheleien gehen die Geigen los auf das in den Bläsern irgendwie originell-asymmetrisch einherpurzelnde Thema. Ein permanentes Aufrauschen und Schwelgen kennzeichnet die Rahmensätze der einzigen Symphonie von Chausson aus den 1890er Jahren. Aber immer wieder erkämpfen sich die Solobläser Ruheinseln, behauptet sich also die Lyrik gegen das fetzig vorwärts Stürmende.
Lorenzo Viotti hat das außerhalb Frankreichs viel zu selten gespielte Werk analytisch durchleuchtet. Doch dann hat er mit großem Atem und mit begründetem Vertrauen auf die Reaktionsschnelligkeit der Staatskapelle Dresden das Paket wieder zusammengeschnürt. Die vielen Stimmungsbrechungen sind ja das Wesentliche in Chaussons singulärer, symphonischer Erzählung. Die gewaltigen Blech-Entwicklungen im langsamen Satz werden beispielsweise konterkariert durch beinah schrille Zwischentöne der Holzbläser.
Kann man anders als schwärmen über die schier grenzenlos belastbare Staatskapelle Dresden? Zum Abschluss haben die Bläser mit Ravels »Bolero« noch mal eine Bravourleistung nicht nur an Präzision hingelegt.
Die erste Hälfte des »Konzerts für Salzburg« gehörte Christian Thielemann und Daniil Trifonov. Es ging los mit Beethovens Egmont-Ouvertüre und weiter mit Mozarts Klavierkonzert C-Dur op. 467, das man ja schon zwei Tage zuvor an diesem Ort gehört hatte. Pianist Daniil Trifonov ist um 50 000 Euro reicher heimgegangen: Ihm wurde der Herbert von Karajan-Musikpreis überreicht, eine seit 2003 ausgelobte Auszeichnung, die heuer erstmals nicht in Baden-Baden, sondern in Salzburg vergeben wurde. Reinhard Kriechbaum