Lüftlmalerei und kühne Bilder

Die Welt ist um ein herausragendes Künstlerehepaar mit vielfältigen Beziehungen zum Landkreis Traunstein ärmer: Vor Kurzem verstarben Helga Mergenthal und wenig später ihr Mann Kurt Mergenthal, die seit 1961 in Attenham zwischen Wolfratshausen und Sauerlach sowie auf Elba lebten und wirkten. Helga, eine geborene Jessen und Nichte des bekannten Traunsteiner Augenarztes Dr. Ernst Jaeger, lebte in ihrer Jugend mehrere Jahre in Traunstein. Kurt Mergenthal arbeitete zwischen 1949 und 1953 bei einem Siegsdorfer Bildhauer.


Beide waren noch im Juni 2015 zur Gedenkausstellung im zehnten Todesjahr ihres an schwerer Krankheit verstorbenen Sohnes, des Bildhauers und Zeichners Stefan Mergenthal, in Franz-Xaver Angerers Galerie Kunstgetriebe in Hammer gekommen. Danach hatte sich der gesundheitliche Zustand der beiden Künstler zusehends verschlechtert.

Helga Jessen wurde am 11. November 1929 in Köln als Tochter einer Bildhauerin und eines Geographen geboren und wuchs an wechselnden Orten auf. Von Rostock aus kam sie während der ersten starken Luftangriffe der Alliierten 1942/43 zu ihren Großeltern nach Traunstein, wo auch ihr Onkel Ernst Jaeger, Leiter einer kleinen Augenklinik, und ihre Tante Nelly Jaeger lebten.

Bereits Anfang der 30er Jahre, als Helgas Eltern zu einer geographischen Expedition nach Afrika gingen, war Helga als Baby von Tante Nelly betreut worden. Der Sohn der Jaegers wurde später auch Augenarzt und ihre Tochter Pianistin. »Wir waren als Kinder ziemlich regelmäßig in den Sommerferien in Traunstein. Von dort sind wir an den Hochfelln gefahren und haben Brombeeren gesucht für Marmelade«, erinnert sich Helgas um vier Jahre jüngere Schwester Una Jacobs.

Nach dem Abitur in Traunstein studierte Helga Jessen an der Münchner Kunstakademie, zunächst für den Schulunterricht und dann in der freien Bildhauerklasse. Dort lernte sie ihren späteren Mann, den Bildhauer Kurt Mergenthal, kennen, der am 7. Juli 1928 in Hausen bei Bad Kissingen geboren worden war und vor seinem Studium Holzbildhauer gelernt hatte. Er war damals Hoffnungsträger der künstlerischen Avantgarde, Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und Meisterschüler von Professor Hiller. Eines seiner Objekte befindet sich im Museum of Modern Art in New York. Nach der Heirat 1956 wurde 1957 Sohn Stefan geboren, der später ebenfalls an der Kunstakademie studierte und Bildhauer wurde.

Über 60 Jahre lang war das Künstlerehepaar seit der Heirat 1956 beisammen. »Zwei Paradiese« waren die Basis für ihre enge kreative Kooperation: der erworbene ehemalige Bauernhof in Attenham, von 1968 bis 1978 Schauplatz des legendären »Attenhamer Bauerntheaters«, und die italienische Insel Elba. Dort restaurierte Kurt, übrigens auch ein exzellenter Typen-Zeichner, verfallene Häuser nach historischen Vorlagen, setzte sich für den Erhalt der alten Erzminen als Industriedenkmal ein und erstellte Skulpturen zu Minensymbolen. Seine Leistung wurde durch die Ehrenbürgerwürde im Bergdorf Capoliveri auf Elba gewürdigt.

In Rio Marina auf Elba richtete er mit seine Frau Helga und auch mit Werken des Sohnes Stefan ein Minenmuseum mit originalgetreuen Nachbauten ein. Die technikbegeisterte Malerin ließ sich von der Faszination der still gelegten Erzminen zu kühnen, großformatigen, unter freiem Himmel erstellten Gemälden inspirieren und von ihrer Liebe zu den Bergen in Oberbayern und Südtirol zu einer Serie von kraftvollen Bergbildern.

Mit dem Wiederaufstellen historischer bäuerlicher Gebäude in Attenham engagierte sich Kurt Mergenthal auch für das oberbayerische Kulturerbe. Die Fassaden vieler Häuser, vor allem im Oberland, schmückte das Paar gemeinsam mit »Lüftlmalerei«.

Nach einem tiefen Einschnitt, dem Tod von Stefan 2005, arbeiteten Helga und Kurt Mergenthal unermüdlich weiter und stiegen bis ins hohe Alter aufs Gerüst. Die letzten Jahre verbrachte das Künstlerpaar zurückgezogen auf dem Hof. vm

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