Beim Salzburger November-Festival »Westöstlicher-Divan« (WØD) steht dieses Jahr der polnisch-russisch-jüdische Komponist Mieczysław Weinberg (1919 bis 1996) im Mittelpunkt. Im Rahmen des Festivals fand im Nonntaler Orchesterhaus ein besonderer Liederabend statt. Zur Aufführung kamen vier Lieder-Zyklen, wovon drei ihre Erstaufführung im deutschen Sprachraum erfuhren.
Die Texte der musikalisch-lyrischen Kleinode stammen von Julian Tuwim (1894 bis 1953), einem polnisch-jüdischen Dichter, sowie von Adam Mickiewicz (1798 bis 1855), einem bedeutenden Autor der polnischen Romantik. Als Ausführende hatte man drei Künstlerinnen aus Polen eingeladen: die Sopranistin Aleksandra Kubas-Kruk, die Mezzosopranistin Anna Bernacka sowie die Pianistin Monika Kruk.
Eingangs erklang der Liederzyklus »Zigeunerbibel« (Biblia Cyganska), 1956 komponiert. Den heute umstrittenen Ausdruck verstand Weinberg als wertschätzenden Kulturbegriff: Da er wegen seiner jüdischen Herkunft vor den Nationalsozialisten 1939 flüchten musste, sah er in den Völkern der Sinti und Roma Schicksalsgenossen, denen er ein musikalisches Denkmal setzen wollte. Anna Bernacka präsentiert die sieben »Romanzen« mit ausdrucksstarkem Mezzo-Timbre, lotet dabei die dynamische Bandbreite aus, stets im Sinne des musikalischen Duktus und der inhaltlichen Aussage. Immer wieder staunt man über den Klangreichtum der polnischen Sprache. Weinbergs Melodien und die Klavierbegleitung leben von Dissonanzen und atonalen Passagen, aber auch von Melodiebögen, überraschenden Intervallen und abwechslungsreicher Rhythmik.
Eigentlich sind diese sieben Lieder tragikomische Skizzen, Kurzerzählungen à la Tschechow. Da ist die von dem armen jüdischen Buben, der auf Hinterhöfen betteln geht, doch niemand reagiert. Mit ironischem Augenzwinkern schildert das Lied »Meine Apotheke« den Monat Mai, der mit der erwachenden Natur »Medizin« für die Menschen sein soll. Die fünf Lieder des Zyklus »Erinnerungen« schrieb Weinberg 1957/58. Sie erzählen von Armut, Leid, von Wünschen und Träumen. Den Höhepunkt bildet ein mit »Litanei« überschriebenes Gebet, das der Dichter den Gedemütigten und Beleidigten, den Unverstandenen und schließlich »allen Bewohnern der Welt« widmet. Tuwims Texte atmen, bei aller Ironie, eine tiefe Menschenliebe. Weinbergs Vertonungen sind kongenial, sperrig und anheimelnd gleichzeitig.
Die Sopranistin Aleksandra Kubas-Kruk interpretierte »Drei Romanzen nach Adam Mickiewicz« kraftvoll und überzeugend. Selbst schwierigste Tonsprünge meistert sie scheinbar spielerisch. In den Höhen angenehm rund, in der Mittellage ausgewogen, gestaltet sie, zusammen mit der zuverlässigen Begleiterin am Flügel, diese »modernen« Lieder so, dass sie fast »romantisch« wirken. Jede einzelne dieser Kompositionen geht den Zuhörern spürbar nahe. Es sind Lieder, die ins Herz treffen. Weinbergs höchst anspruchsvolle Vertonungen und deren lebendige Interpretation durch Anna Bernacka, Aleksandra Kubas-Kruk und Monika Kruk ließen das Publikum im Orchesterhaus einen exquisiten Liederabend erleben, mit Werken, die hierzulande noch darauf warten, entdeckt zu werden.
Helmut Rieger