Klagend alles sagend

Schiffsdeck und Steg, Palast und Liebeslager hängen an glitzernden Stahlseilen nur wenige Zentimeter über der gefluteten Bühne: Tristan und Isolde haben keinen festen Boden unter sich. Haben überhaupt nie Fuß gefasst im Leben, in der Realität. Wenn diese Menschen (nicht nur die Hauptfiguren, auch ihre Getreuen) sich Halt suchend an die schimmernden Fäden klammern, meint man, Marionetten zu sehen.


Regisseur Eike Gramss erzählt in dieser Produktion des Salzburger Landestheaters nicht einfach die Geschichte zweier Liebender, die irgendwelche gesellschaftlichen Konventionen gebrochen haben – sei es zu »Ritterszeiten« oder in der Gegenwart. Er erzählt ein seltsam trauriges Märchen: Zwei Menschen, nie wirklich in der Realität verankert, sind der Welt abhanden gekommen.

Dass Eike Gramms den Liebenden keine »moderne« oder sonstwie vordergründige Story aufzwingt, macht ihr Schicksal so besonders bewegend. Dieser Tristan, diese Isolde nehmen es nicht einmal wahr, dass Sternenzelt und Liebesgrotte über ihren Wonnen zusammenfallen, wie Dekorationsstücke (die sie ja sind) und nur mehr Stahl und Beton der Hinterbühne übrig bleiben.

Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Leo Hussain lockt die Zuhörer auf den selben gefährlich schwankenden Boden – auf den Boden der Wagner'schen Harmonien, die ohne den sicheren Halt einer fixen Tonart ebenso schwanken, wie die Planken unter Tristan und Isoldens Füßen.

Es ist ein voller, farbenreicher Wangerklang, aus dem die wundersamen Solopassagen immer wieder herausblühen, wie Hoffnung: Dirigent und Orchester entfalten einen intensivfarbigen, aus kräftigen Fäden gewobenen Klanggrund, halten sich keineswegs »bedeckt«, decken aber auch die Sänger nicht zu. Dafür werden die bewusst und spannungsvoll aufgebauten Crescendi so richtig zelebriert. Ein Genuss. Zum Abheben oder – wahlweise – Niedersinken. Das Mozarteumorchester ist jedenfalls der Star der Produktion.

Michael Baba, von den Tiroler Festspielen Erl als Parsifal, Siegmund und Stolzing bekannt, ist der Tristan dieser Produktion. Seine geschmeidige, tragfähige Stimme überzeugte bei der Premiere vor allem in den mittleren Lagen mit ihrem weichen Timbre, hatte aber in den exponierten Linien bei Spitzentönen im Fortissimo zunächst die Tendenz wegzubrechen. Tristans grandioses Todesdelirium gehörte dagegen nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich zu den überzeugendsten Szenen.

Jeanne-Michèle Charbonnet ist die Isolde dieser Produktion. Sie ist eine charismatische Singschauspielern von größter Ausstrahlung und Überzeugungskraft. Die international gefragte Wagnersängerin gebietet stimmlich über eine vielfarbige Palette an Klangfarben und Timbres, hat aber in der Höhe die starke Tendenz zu unkontrolliertem Vibrato

Die mit Abstand überzeugendsten sängerischen Leistungen boten Katharine Goeldner als Brangäne und Detlef Roth als Kurwenal. Als treuer Wärter am Lager des sterbenden Tristan bewegte dieser Kurwenal mit beinahe liedhafter Leichtigkeit in der Phrasierung, Wärme im Klang und souveräner Textdeutlichkeit.

Die Brangäne von Katharine Goeldner ist darstellerisch nicht, wie so oft, eine dominante Gschaftlhuberin mit Tendenz zur Hysterie, sondern eine liebevolle wahre Freundin der Verblendeten.

Frode Olsen ist darstellerisch ein bewegender König Marke, stimmlich hätte man sich vor allem in seiner großen Klage eine schlankere Tongebung, vor allem sprachlich da und dort einen Konsonanten statt der gleichförmig offenen Vokale gewünscht.

Die »kleinen« Partien, die doch so wichtig sind, brachten ebenfalls Glanzlichter: Simon Schnorr bekam für seinen – nun wirklich kurzen – Auftritt als verräterischer Melot beim Schlussapplaus ein verdientes Crescendo. Einar Gudmundson war – inmitten des strahlkräftigen Männerchors der Seeleute – ein selbstbewusster Steuermann. Franz Supper, treuer Recke am Landestheater, eröffnete den Abend mit der Stimme des jungen Seemanns, die mit größter Ruhe und Klarheit von irgendwo hoch oben zu kommen schien. Als naiv-treuer Hirte in Tristans Heimat hatte er einen bewegenden Auftritt im dritten Aufzug zusammen mit dem hervorragenden Kurwenal von Detlef Rot. Hier gehört das Englischhorn aus dem Orchester herausgegriffen und vor den Vorhang geholt – das mit seinem großen klagenden Lied noch nach beinahe fünf Stunden Oper zu rühren und zu bewegen wusste. Heidemarie Klabacher

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