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Illusion oder Halluzination? Laura Incko erscheint dem an Aids erkrankten Prior (George Humphreys) als Verkündigungs-Engel. (Foto: Löffelberger/Landestheater)

Im Angesicht des Todes »noch mehr Leben« fordern

Ist die Welt noch zu retten? Wo ist eigentlich Gott? Hat sich der Stoff des Himmels aufgelöst? Vielleicht hat die Welt Gott aus dem Himmel gejagt. Mit seinem monumentalen Drama »Angels in America«, der Grundlage für Peter Eötvös Oper, zeichnete der US-amerikanische Schriftsteller Tony Kushner ein vielschichtiges Psychogramm des Menschen.

Das Libretto des knapp dreistündigen modernen Werkes (2004 in Paris uraufgeführt) steuerte Mari Mezei, Ehefrau und kreative Partnerin von Eötvös, bei. Mit der Opernproduktion erneuert das Salzburger Landestheater die künstlerische Achse zwischen der New York City Opera, die mit dem Salzburger Gastspiel »Brokeback Mountain« in New York etabliert wurde.

Die Reaktionen des Premierenpublikums waren verhalten. Verständlich. Die düstere Beklemmung der krisengebeutelten Welt im Heute bekam in der bildstarken Inszenierung von Sam Helfrich ein verstörendes Echo. Dazu Eötvös' Komposition, welche Szenen, Stimmungen und persönliche Dramen der in – und von sich gequälten Protagonisten zwischen Halluzination, Vision und Alptraumhaftem in wahrlich trübe und aufgewühlte Gewässer des Hör-Erlebens schickt. Doch gerade in trüben Gewässern kann man die dicksten Fische fangen. Was auf den einen »verstörend« wirken mag, ist für den andern ein kostbares Kunstwerk. Und zeigt nicht die Botschaft dieses Werks, dass sich der Mensch, auf der sich drehenden Welt auch selbst wieder und wieder im Kreis dreht?

Kunst muss aufrütteln und in dieser klanglich, stimmlich und darstellerisch vielgestaltigen Inszenierung tut sie genau dies. Die Haupthandlung spielt im Aids-geprüften New York der 80er Jahre und fokussiert zwei Paare, die jeweils vor den Trümmern ihrer Beziehungen stehen: Der junge Louis (William Ferguson) trennt sich, vom an Aids erkrankten Partner Prior (George Humphreys).

Die Valium-süchtige Harper (Olivia Cosío) trennt sich von ihrem Mann Joe (Samuel Pantcheff), als sie von dessen Homosexualität erfährt. Joes Mutter Hannah (Anna Maria Dur) – strenggläubige Mormonin – eilt nach New York: Nicht etwa, um den verzweifelten Sohn zu stärken, sondern um seine Ehe zu retten. Und dann ist da noch Joes Mentor, der Staatsanwalt Roy (Raimundas Juzuitis), der ebenfalls die vernichtende Aidsdiagnose bekommt, sie aber in Leberkrebs umlügt. Die Verlassenen und Ausgegrenzten teilen, jeder auf die eigene verstörende Art und unter dem Einfluss von Drogenstoffen, dasselbe Phänomen: Unliebsame Engelserscheinungen zeugen von Realitätsverlust. So führt ein jeder seinen erbitterten Kampf gegen den eigenen, aber auch den weltlichen Untergang und zugleich fürverbindliche, menschliche Nähe.

Spannung und Extravaganz bis zum letzten Moment hält Eötvös‘ außergewöhnliche Klangwelt für die zum Teil überraschten Zuhörer bereit: Eine Mischung aus Jazz-, Rock- und Musicalelementen ertönt im Zusammenklang mit Alltagsgeräuschen, spiegelt klanglich wider, was emotional passiert. Das reicht von schräg-dissonanten bis zum sphärisch schwebenden, vom Autogeräusch bis zum fließenden Geplapper einer Menschenmenge.

Das Gesangsensemble liefert Großartiges, zeigt auch im Darstellerischen bemerkenswertes Können. Ein Vokalstimmentrio (Hazel McBain, Bethany Yeaman, Philipp Schöllhorn), für das Publikum ebenso unsichtbar in der Kulisse versteckt wie das unter der Leitung von Leslie Suganandarajah großartig agierende Mozarteumorchester Salzburg sorgt für geheimnisvolle »Zwischenstimmen«. Als Priors Krankenpfleger Belize lieferte auch Matthew Reese mit kräftigem Countertenor eine hervorragende Leistung ab. Kaye Voyce gewandet die Darsteller in Alltagskleidung, die Engel in zu ihrem »Auftrag« passenden Outfit – von weiß-beflügelt bis tuntenhaft bunt.

Das Bühnenbild von John Farrell verpasst der Handlung den passenden Rahmen: Schwarz gekachelte Wände mit großformatigen Fenstern, deren Flächen von weißen Lamellenrollos verdeckt sind: Isolation, sterile Kälte, emotionale Keimfreiheit, in deren Atmosphäre die Engelerscheinungen wie wahnhafte Halluzinationen wirken. Laura Incko als Verkündigungsengel befeuert in ihrem Spiel, auch stimmlich in glockenreinem Sopran und präzisen Koloraturen brillierend, diese surreale Stimmung.

Um »Noch mehr Leben« verhandelt bis zuletzt Prior, will nicht Untergangsprophet einer von Menschenhand zerstörten Welt sein, sondern Heilung erfahren. Wer sanfte Melodien und opernhafte Liedchen erwartet, wird enttäuscht. All jene, die sich mehr Musik-Kunst und klangfarbenreiches Musiktheater wünschen, denen sei die absolut sehens- und hörenswerte Oper ans Herz gelegt.

Karten und weitere Aufführungstermine gibt's per E-Mail unter service@salzburger-landestheater.at.

Kirsten Benekam

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