Der Gitarrist Carsten Linck hatte sein Solokonzert mit dem Titel »Guitarra Espanola« streng chronologisch angelegt; es begann mit drei Komponisten aus der Renaissance, deren Lebensdaten ganz nah beieinander liegen. Von Luis Narvaez (1526 bis 1549) trug er »Differencias sobre: Guardame Las Vacas« vor, sieben liebevoll gestaltete Variationen über das Lied »Hüte mir die Kühe!«, und damit auch den ersten ausnotierten Variationenzyklus der Musikgeschichte.
Von Luys de Mílan (1500 bis 1561), einem der ersten Musiker, der seinen Werken Tempobezeichnungen beigab, erklangen fünf sehr unterschiedliche und abwechslungsreiche »Pavanas«. Auf sie folgte eine »Fantasia«, die wie frei improvisiert wirkte, auch getragene Passagen enthielt. Mit für diese Zeit geradezu sensationellen Harmonien, Modulationen und Rhythmen überraschte die »Fantasia que contrahaze la harpa en la manera de Luduvico« von Alonso Mudarra (1510 bis 1580), spannend und aufregend.
Mit dem Vortrag dieser Stücke verband Carsten Linck eine »Lehrstunde in Musikverständnis«, sehr vertieft und für Nichtfachleute nicht immer ganz nachvollziehbar. Bei den fünf »Piezas Espanolas« des Spaniers Gaspar Sanz (1640 bis 1710) mit ihren interessanten und deutlich herausgearbeiteten Ideen wies er darauf hin, dass hier zum ersten Mal iberisches Material in der frühen Barockmusik auftaucht.
Mit dem spanischen Gitarristen und Komponisten Fernando Sor (1778 bis 1839), der sich stark an Haydn und Mozart orientierte, streifte das Konzertprogramm die Klassik. Aus Einzelwerken des Komponisten hatte Carsten Linck, wie es in der Wiener Klassik durchaus üblich war, eine »Sonate C-Dur« in drei Sätzen zusammengestellt, mit einem ganz »haydnhaft« unbeschwerten Allegro, einem dramatisch aufgeladenen Largo, das das ganze Engagement des Spielers verlangte, und einem beweglichen Menuett, das in die tänzerische, beschwingte Sphäre zurückführte. Alle diese Werke aus dem ersten Konzertteil spielte Carsten Linck auf einer schlanken, kleinen Gitarre mit warmem, klarem Ton, einem Nachbau der »Stauffer-Gitarre« aus Wien, wie sie auch Franz Schubert bei der Komposition vieler seiner Lieder zur Verfügung stand, wenn er nach einem seiner häufigen Umzüge wieder mal kein Klavier in der Wohnung hatte.
Den zweiten Teil des Konzerts, der bis ins 20. Jahrhundert führte, absolvierte Carsten Linck auf einer modernen Konzertgitarre aus einer spanischen Werkstatt, der ihre Zedernholz-Decke einen besonders kräftigen Klang in den tiefen Lagen brachte, ohne die Klangbalance zu stören. Er begann mit fünf ausgewählten, charakteristischen Stücken des Spaniers Francisco Tárrega (1852 bis 1909), der, an Chopin orientiert, Salonmusik mit spanischen Akzenten schuf.
Durch seine Kompositionen, seine Lehrtätigkeit und vor allem durch seine Transskriptionen gilt er als Begründer der neuen spanischen Gitarrenschule. Das »Caprichio Árabe« mit stark orientalischem Einschlag, ein »Tango« mit kraftvoll strukturierten Melodien, eine »Mazurka« aus seiner Hinwendung zu Chopin, eine tänzerische, polkaähnliche »Gavota« und besonders die »Erinnerungen (Recuerdos) an die Alhambra«, eine wahre Tremolo-Etüde, unterbauten diese Ansicht.
Zwei bekannte Transskriptionen von Klavierstücken auf die Gitarre von Tárrega sind »Serenata Espanola« von Joaquin Malats (1872 bis 1912), ein unglaubliches Stück Musik auf der Gitarre, und »Asturias« von Isaac Albeníz (1860 bis 1909), von der der Komponist sagte, die Gitarrenadaption klinge viel spanischer als das Klavieroriginal. Carsten Linck zelebrierte diese »Hochleistungsstücke« mit minimalen Schleifgeräuschen in hochkonzentrierter Verbindung mit seinem Instrument, eine Intensität, die sich dem Publikum eindringlich mitteilte.
Das nicht sehr umfängliche, aber sehr interessante Oeuvre für Sologitarre von Joaquin Turina (1882 bis 1949) regte der große spanische Gitarrist Andrés Segovia (1893 bis 1987) an. Daraus spielte Carsten Linck »Fandanguillo« (einen »kleinen Fandango«) und eine »Hommage a Tárrega: Garrotin - Solares«. So schloss sich der zweite Konzertteil zum Kreis. Der Solist gewährte als Zugabe »ein kleines Stück noch von Tárrega« – ein ganz liebes. Engelbert Kaiser