Ernste, schwere Musik, ein anspruchsvolles und sehr berührendes Programm, mit absoluter technischer Brillanz vorgetragen vom Castalian String Quartett, bildete den krönenden Abschluss der 43. Traunsteiner Sommerkonzerte im beinahe ausverkauften Kulturforum Klosterkirche.
»Tiefe Schwermuth, Leichenklage, Jammergeächz und grabverlangende Sehnsucht« – so beschreibt Christian Friedrich Daniel Schubart um 1780 in seiner »Charakteristik der Tonarten« die Tiefe und Schwere von f-Moll. In f-Moll ist das Streichquartett von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 bis 1847) geschrieben, das er nach dem plötzlichen Tod seiner Schwester Fanny Hensel (1805 bis 1847), kurz vor seinem eigenen, komponiert hatte.
Wütend und furios wie ein Aufschrei beginnt das Streichquartett mit dem Allegro vivace assai – Presto. Ein fast weinendes, sanftes Adagio folgt, wobei der Wechsel von f-Moll in As-Dur fast noch trauriger wirkt als zuvor die Moll-Tonart. Das Stück endet schließlich in einem rasenden Finale. Allegro molto, bei dem das großartige Castalian String Quartet mit seiner einmaligen ersten Geigerin Sini Simonen fast wie ein ganzes Orchester klang. Spätestens in diesem letzten Satz geriet das Streichquartett aus aller Trauer und Schwere hinaus zu einem wunderbaren Bekenntniswerk für das Leben.
Hoch konzentriert, ideal aufeinander eingestimmt spielten die beiden Violinen, mit der finnischen Geigerin Sini Simonen und der Japanerin Yume Fujise. Die war sehr kurzfristig für den erkrankten Daniel Roberts eingesprungen. Auf der Bratsche spielte die aus Irland stammende Ruth Gibson und am Violoncello der Walliser Steffan Morris. Das britische Castalian String Quartet war 2011 gegründet worden und stieg schnell zu einem der international begehrtesten Streichquartette auf. Sein Name geht zurück auf die Kastalische Quelle bei Delphi. Der Sage nach soll sich hier die Nymphe Kastalia ins Wasser gestürzt haben, als Apollo, Gott der Künste, ihr liebestrunken nachstellte. Überliefert ist, dass die Quelle seither jedem, der aus ihr trinkt, künstlerische Inspiration schenkt.
Tieftraurig, wenn auch völlig anders als Mendelssohns Quartett, war auch das zweite Stück, nämlich »Terra memoria«, der heuer verstorbenen finnischen Komponistin Kaija Saariaho. 1952 in Helsinki geboren, studierte sie an der dortigen Sibelius-Akademie und später in Freiburg im Breisgau und Paris. Im Laufe ihres Lebens komponierte sie auch computergesteuerte Stücke und arbeitete mit Live-Elektronik. Ihr bekanntestes Werk ist »Graal theatre« für Violine und Orchester, das sie Ende der 1990er Jahre geschrieben hat. Ihre Werke, darunter drei Opern, wurden mit den größten Dirigenten unserer Zeit bei internationalen Festivals aufgeführt. Am 2. Juni erlag sie in Paris ihrer Hirntumorerkrankung.
Sini Simonen berichtete dem Publikum von Schicksal und Werk Kaija Saariahos, mit der sie eng zusammen gearbeitet hatte. Entsprechend ergreifend war das mit höchster Hingabe gespielte Stück »Terra Memoria«, 2006 geschrieben, das wieder gut zum Motto »Erde« der diesjährigen Sommerkonzerte passte. Das Stück ist »for those departed« gewidmet, also den Gestorbenen, deren Leben vollendet ist. Jene, die zurückbleiben, würden ständig in ihren Erinnerungen an gemeinsame Erfahrungen und Gefühle mit den Toten leben, erklärte Saariaho einmal das Stück. In dem 20-minütigen Streichquartett werden alle nur möglichen Register für Streichinstrumente gezogen, von wütenden, rauen, furiosen Tönen bis zu sanften, zarten, fast sphärischen Klängen, die ins Jenseits münden. Nach dem letzten Ton dauerte es lange, bis sich das Publikum von diesem tief beeindruckenden Stück »erholt« hatte und nach langem Applaus in die Pause und den schönen Herbstabend im Hof des Kulturforums ging.
Vertrautere Klänge kamen beim Streichquartett opus 56 »Voces intimae« von Jean Sibelius (1865 bis 1957) zu Gehör. Er gilt als der finnische Nationalkomponist schlechthin, bei dem die Landschaften und Sagen seiner finnischen Heimat lebendig werden. Für Sibelius, der auch »Komponist der nordischen Wintermelancholie« genannt wird, war Musik Emotion und persönliches Erlebnis. Darauf weist bei dem Streichquartett auch der Titel »Voces intimae«, also »innere Stimmen« hin, den er seinem wohl wichtigsten Kammermusikwerk, dem Streichquartett d-Moll opus 56 gegeben hat. Im Jahr 1909 geschrieben, werden dabei der Dur- und MollHarmonik nochmal neue, in dunklen Farben glühende Klänge abgewonnen. Schon der erste Ton zog das Publikum in seinen Bann. Wieder kamen die unterschiedlichen Farben der Streichinstrumente ganz deutlich heraus, die hinreißende Dialoge und Gespräche zu führen schienen. Auch Mimik und Körpersprache der Interpreten, die vollständig die Bewegungen der Musik ausdrückten, waren faszinierend. Von hauchzarten, engelsgleichen Tönen im Adagio di molto bis zu kräftigen, alles überstrahlenden Klängen im furiosen Finale. Es war ein reines Vergnügen zuzuhören und den vollständig in ihre Musik versunkenen Musikern zu lauschen. Die am Schluss einsetzenden Bravorufe und der Applaus verebbten nur langsam.
Traunsteins Oberbürgermeister Dr. Christian Hümmer konnte sich anfangs nur schwer Gehör verschaffen. Er dankte allen Mitwirkenden, Sponsoren und besonders Intendant Maximilian Hornung, der mit diesen 43. Sommerkonzerten ein fulminantes, unvergessliches Festival auf die Beine gestellt hatte. Mit einer Flasche Wein und Blumen dankte das Stadtoberhaupt auch den zahlreichen ehrenamtlichen Helfern, ohne die die Sommerkonzerte auch heuer nicht denkbar gewesen wären.
Christiane Giesen
Das Abschlusskonzert mit dem Castalian String Quartet im Kulturforum Klosterkirche wurde live vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten. Es wird am Donnerstag, 28. September, um 20.05 Uhr in der »Festspielzeit« auf BR Klassik gesendet.