Eine Ausstellung in Köln über mittelalterliche Handschriften 1984 war es, die beim jungen Jürgen Rössel die Faszination für das Ornamentale hervorrief und die ihn anregte, sich der Schön- und Zierschrift, zuerst mal nur nebenbei, allmählich mehr und mehr und später ganz zuzuwenden. Die jüngste Ausstellung im Kloster Seeon, wo es bekanntlich ein benediktinisches Skriptorium gab, eine klösterliche Schreibwerkstätte also, die noch heute in Kursen, Vorträgen und Exhibitionen fortlebt, war es dann auch, die Rössel zu der nun im Kultur- und Bildungszentrum eingerichteten Ausstellung führte.
Was ist zu sehen und von den Besuchern zu erwerben? Lauter Schönes. Edles. Bestechendes. Akribisches aus dem Bereich der Schriftkunst, dargeboten und als Wandschmuck aufgehängt, hinter schützende Glasplatten gelegt und ausgebreitet in gut beleuchteten Glasvitrinen. Schmuck- und Namens-Initialen, kunstvoll gestaltet und blattgoldunterlegt in Holzrähmchen. Sinnsprüche, philosophische Extrakte – etwa von Kierkegaard – und Gedichte – etwa Khalil Gibrans Text »Von der Selbsterkenntnis«. Dazu Reiki-Lebensregeln, Evangelien-Texte. Das alles auf erlesenem Büttenpapier, aber auch auf Elefantenhaut, Ziegenpergament und ähnlichen Bild- und Schriftträgern.
Vieles, was Rössel inspiriert hat, ist den kunstfertigen Mönchen des Mittelalters nachempfunden, die für den Adel Stundenbücher auszierten und für die hohe Geistlichkeit Missale und Psalterien fertigten. Rössel könnte heute einer von ihnen sein. Auch mit seiner in der Ausstellung an mehreren Haltestellen sichtbar werdenden Vorliebe für das Nachdenkliche. »Sei ein Kanal für die Energien des Universums …« mahnt er einmal auf Bogen Büttenpapier, gestaltet in Gouache-Technik mit Tusche und Blattgold. Den Kirchenlehrer Augustinus schreibt er ab, viel schöner als dieser es vermutlich konnte. Augustinus lag ja am Inhalt mehr als an der Form. Die aber bedeutet Rössel wiederum, wie er erklärt, alles. Aus Kaiser Maximilians Gebetbuch zitiert er »De Sancto Sebastiano«. Ein Abendmahl Christi erfindet er selbst. Und ein farbig herrlich leuchtendes Blatt widmet er dem Thema »Christi Himmelfahrt«, das er ornamental figurenreich ausgestaltet, wobei Kleinsttiere und Pflänzchen den Rahmen füllen und von der Freude über den Auferstandenen künden.
Gewiss sind solche Blätter – ebenso Bordürenmuster, die Rössel Buchmalereien des 10. bis 16. Jahrhunderts nachempfindet – nicht jedermanns Sache. Rössel muss von seiner Kunst auch leben können und so nimmt man es ihm nicht übel, wenn er von der »mönchisch« zurückhaltenden, Gott zugewandten Kontemplation zu volkstümlich-praktischen Sujets findet, die er als Auftragsarbeiten ausführt: Urkunden, Gratulationen, Stamm-bäume.
Die Ausstellung »Jürgen Rössel: Mittelalterliche Buchmalerei« im Kloster Seeon dauert bis 15. März. Sie ist bei freiem Eintritt täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Da ist Gelegenheit zum Besuch der thematisch verwandten Dauerausstellung »Das Kloster Seeon und sein Skriptorium« (mit Katalog im Klosterladen). Hinweis: Zwei- und mehrtägige Kalligraphie-Werkstatt bei Gisela zur Strassen von Ende März bis Ende November. Infos unter Telefon 08667/876279. Hans Gärtner