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Maria, Johannes, Maria Magdalena und Veronika sind ratlos angesichts der sich abzeichnenden Zuspitzung von Jesu Lage in Jerusalem. Im Hintergrund Sänger des Chors SalTo Vocale. (Foto: Mergenthal)

Ergreifende Passionslieder in mystischem Raum

»Stabat Mater«, »Christi Mutter stand mit Schmerzen«, heißt es in einem alten Kreuzweglied. Unter diesem Motto stand heuer das »Salzburger Passionssingen«. Die Marienwallfahrtskirche in Mülln bot einen mystischen Rahmen für die atmosphärisch dichte, berührende Aufführung unter Leitung und nach dem Konzept von Josef Radauer.


Thematisch im Zentrum standen die Frauen, die Jesus auf seinem letzten Weg begleitet haben, und ihr unterschiedlicher Blickwinkel und Erfahrungshorizont. Maria, seine Mutter, sehr menschlich dargestellt von Susanna Szameit, fragt sich, ob sie was falsch gemacht hat in der Erziehung. Sie ahnt, dass der Jubel der Massen beim auf die Römer gefährlich provokativ wirkenden Einzug nach Jerusalem in Verleumdung und Hetze umschlagen könnte.

Zwischen Maria Magdalena, die Agnes Mitterlechner-Wimmer mit samtweichem Mezzosopran in zwei ergreifenden Stücken aus dem Stabat Mater von Antonio Vivaldi zur Ikone tiefer Liebe und Trauer werden ließ, und der zupackenden, kämpferischen Veronika (Andrea Resch), eine Gestalt der Legende und nicht aus der Bibel, entsteht eine Rivalität.

Musikalisch bilden das Kernstück neben Vivaldi neu entdeckte Passionslieder, wie »Marientraum« von Nikolaus Beuttner aus Graz (1602) über eine alptraumartige Vorahnung, das eine Brücke von Jesu Geburt zur Passion schlägt. Ergreifend interpretiert wurde es vom auf der Kanzel postierten Salzburger Dreigesang, den Leni Schwaighofer als Nachfolgerin für Christl Klappacher mit ihrem glockenklaren, engelsgleichen Sopran bereicherte. Weitere Juwelen in perfekter Harmonie mit Elisabeth Radauer und Helene Widauer waren ein Ölberglied aus dem Jahr 1637, »In stiller Nacht«, und die Kärntner Volksweise »Schönster Jesu meiner Augen«.

In den stimmigen dramaturgischen Bogen hat Radauer eindringliche Weisen der von hinten erklingenden »Pongauer Bläser« und gefühlvoll und in der Besetzung facettenreich dargebotenen Instrumentalstücke des Radauer Ensembles eingeflochten. Die Musiker ließen Volksgut, Weisen von Tobi Reiser und Klassisches erklingen, wie etwa den Choral »Herzliebster Jesu« von Johann Sebastian Bach zusammen mit Chor und Orgel. Öfter wurden wie hier die Gruppen kombiniert. Eindrucksvoll war auch der Wechsel von Männer- und Frauenchor bei einem Halleiner Lied aus dem 19. Jahrhundert – »Dort druntn auf Laub und Straßn« – zur Illustration der Dramatik im Vorzimmer des Kaiphas, den sein Diener Philippus (Willi Pilz) vergebens umzustimmen versucht. Nach Jesu Tod verzweifelt der von Alfred Kröll als tragische Judasfigur gezeichnete Hohepriester: Was ist, wenn Jesus nun wirklich Sohn Gottes gewesen ist?, fragt er sich.

Erstmals gestaltete der 1998 gegründete, bei Wettbewerben mehrfach ausgezeichnete Salzburger Chor »SalTo Vocale« unter Leitung von Heinrich Haslauer und Birgit Rohrmoser dieses Passionssingen mit. In hervorragender Intonation trieb er die Handlung voran, indem die Sänger, auf unterschiedliche Weise hinter und vor dem Volksaltar aufgestellt und die Raumwirkung nutzend, zugleich das Volk darstellten. Mal jubelte es wie bei »Hosianna, dem Sohne Davids« von Bartholomäus Genius, mal wünschte im dramatisch inszenierten »Ans Kreuz mit ihm« von Shane Woodborn Jesus den Tod und mit aggressivem Flüstern als geschlossener Kreis, mal nach innen und mal nach außen gewandt, seine Mutter Maria abprallen.

Mit einem Epilog der Frauen und Johannes (als ungeduldiger junger Visionär von Leonhard Hartinger verkörpert) auf dem Weg nach Emmaus und im Dunkeln verteilten feinen Bienenwachs-Lichtern klang der Abend in zarter Osterhoffnung aus. Zwischen allen entsteht nach dem durchlebten Grauen eine neue Verbundenheit. Die Augen gehen ihnen auf. Der Kreis schließt sich. Veronika Mergenthal

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