Die Ausgangssituation ist faszinierend und herausfordernd. Die Frau (Glanzrolle für Kirsten Benekam) führt ihren Mann (kongenial Laurentius Fischer) nach Hause in die gemeinsame Wohnung. Ihm ist alles fremd: die Einrichtung, die Bilder, selbst sein ehemaliger Lieblingssessel und – nicht zuletzt – auch seine eigene Frau. Denn er hat, so die Diagnose, die dem Publikum vermittelt wird, bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren.
Die Ehefrau versucht nun mit allen möglichen Details, Erzählungen und Hinweisen, ihrem Mann seine Erinnerung zurückzubringen. Das stellt sich als schwierig heraus, allein schon deshalb, weil er sie immer wieder siezt, was sie mehr und mehr aufregt und frustriert. Ihn verunsichert dagegen nicht nur die Tatsache, dass sie auf seine wiederholte Frage »Lieben Sie mich?« stets ausweicht.
Da wächst in ihm eine nagende Unruhe, ein Verdacht, dass sie ihm Dinge vorgaukelt, die sich vielleicht ganz anders verhalten. Dass sie ihm einen Mann schildert, wie sie ihn sich vielleicht gewünscht hätte, wie er in Wirklichkeit möglicherweise aber gar nicht wahr. Ein ungutes Gefühl wird in ihm immer stärker, je mehr sie ihm erzählt: »Ich habe das Gefühl, etwas Schreckliches ist hier vorgefallen.«
Gepackte Koffer, hinter Büchern versteckte Schnapsflaschen, ein Briefbeschwerer aus Stein, verschiedene Andeutungen: Aus allen möglichen kleinen Bruchstücken beginnt sich für den Mann und für den Zuschauer ein Bild zusammenzufügen, das letztlich nicht so toll zu sein scheint, wie es die Frau ihrem Mann anfänglich zu schildern versuchte. Auch die Zuschauer gewinnen nach und nach einen Einblick in eine wechselvolle 15-jährige Ehe mit all ihren Höhen und Tiefen und mit einem schrecklichen Ereignis am Schluss, das an dieser Stelle aber nicht näher beschrieben werden soll. In einem intensiven Schlagabtausch, in geschliffenen Dialogen, die den Schauspielern alles abverlangen, in unerwarteten Wendungen und Entwicklungen nähern sich die beiden Stück für Stück der Wahrheit an. Die breite Treppe in der Mitte der Bühne – zwischen dem bequemen, aber durchgesessenen Sitzmöbel auf der einen und dem Büro mit Schreibtisch und dem des öfteren voller Emotionen unsanft geleerten Bücherregel auf der anderen Seite – ist ein gutes Symbol für das Auf und Ab innerhalb der heftigen Diskussionen und Auseinandersetzungen des Ehepaars zwischen Schmusestunde und Türenschlagen. Nach einer veritablen Achterbahnfahrt der Gefühle und überraschenden Wendungen gibt es schließlich einen dramatischen Showdown, mit den Verstellungen und Vortäuschungen hat es irgendwann ein Ende: Die beiden Eheleute stehen vor ihrer nicht ganz unproblematischen Realität, an einem End- oder Wendepunkt ihrer Beziehung und müssen sehen, was sie daraus machen.
Für die beiden Schauspieler ist dieses Spiel – die Regie führte die unter anderem vom Theaterchen »O« her bekannte Lisa Hanöffner – eine große Herausforderung, nicht nur wegen des langen und schwierigen Textes. Mal in harmonischer Verbundenheit, dann wieder in wütender Auseinandersetzung, mal in lachender gemeinsamer Erinnerung, dann wieder in mit scharfem Intellekt und beißendem Sarkasmus geführtem Streit, mal in kuschliger Verliebtheit, dann wieder fast handgreiflich werdend – die verschiedenen Stimmungslagen erfordern großes Einfühlungsvermögen und Wandlungsfähigkeit. Dies meisterten die beiden Protagonisten über weite Strecken ganz hervorragend. Und vor allem das beredte Mienenspiel von Kirsten Benekam war allein schon eine Augenweide und einen Besuch wert.
So kann das Theaterstück nur empfohlen werden – und wer will, darf gern seine eigenen Lehren daraus ziehen, sich selber und seine eigenen Beziehung in dem hier vorgehaltenen Spiegel betrachten. Weitere Spieltermine der »Kleinen Eheverbrechen« sind noch am 26., 27. und 28. Oktober sowie am 2. und 3. November. Karten gibt es im Vorverkauf unter Telefon 08669/5263. he