Der 30-jährige »aufgehende Stern« am Dirigentenhimmel war bereits im Sommer bei den Salzburger Festspielen in der voll besetzten Felsenreitschule stürmisch bejubelt worden und bewies einmal mehr, dass er mit Präzision und Feinfühligkeit ein Orchester zu höchstem Klanggenuss zu führen versteht.
Anklänge herrlicher böhmischer Melodien
Antonín Dvoráks Cellokonzert gab ihm hierfür viel Raum. Bereits im ersten Satz barg es immer wieder Anklänge der herrlichen böhmischen Melodien, melancholische-zart, aber auch tänzerisch rhythmisch, ob in dunkler Streicherbegleitung oder jubelnd vollem Orchesterklang, während Mischa Maisky auf seinem Montagnana-Cello in virtuosem Spiel einen Dialog mit dem Orchester zu führen schien.
Ganz hingegeben an diese slawischen Emotionen spielte er mit geschlossenen Augen in unglaublicher Intensität, zart, sehnsuchtsvoll, doch ebenso in kontrastierender Wildheit bis Paukenwirbel und kraftvolle Bläserfanfaren diesen ersten Satz beendeten. In schier unerschöpflichem melodischem Reichtum zeigte sich auch das Adagio, in dem das Cello in den zarten Bläserklang einstimmte und mit diesem Zwiesprache hielt, ehe sich dramatisch das Orchester meldete und beide ineinandergriffen.
Feierlicher Choral, Vogelgezwitscher, Melancholie, Nachdenklichkeit: Dvoráks Gefühlspalette ist reich. Und es erklang die Melodie des böhmischen Liedes »Lasst mich allein!« in einem berührend lyrischen Stimmungsgemälde: Wunderbar nicht nur zu hören, sondern auch in den sensiblen feinsten Bewegungen von Aziz Shokhakimov zu erkennen, der Mischa Maiskys ausdrucksvoller Interpretation und Virtuosität Raum ließ.
Im Finalsatz hatte das Cello kaum einmal Pause. Dvorák verlangt ihm viel ab. Trotz tänzerischer Passagen war die Wehmut immer wieder zu erkennen, das Lied klang an, doch letztlich war wieder Freude zu hören und in positiver Stimmung endete Dvoráks Musik unter begeistertem Applaus.
Mischa Maisky Energie schien unerschöpflich. Nach unzähligen Verbeugungen und Bravorufen, die ihm wie auch Aziz Shokhakimov und einem großartigen Orchester galten, gab es noch eine Zugabe: Maisky spielte Tschaikowskys »Lensky's Arie« aus »Eugene Onegin«, wiederum eine melancholische Musik in Moll. Der weißgelockte Maestro mit seiner schulterlangen Mähne und seinem königsblauen Blouson, 70 Jahre jung, packte das Publikum mit der Leidenschaft für sein Instrument und seinem Gefühl für diese Musik. Der Jubel war groß und andauernd.
Nicht weniger fesselnd, aber auf ganz andere Weise, nahm Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 1 in g-Moll die Zuhörer gefangen. In Schostakovitschs Musik erklangen freche Parodien in permanentem Wechsel der Tempi neben tiefen Gefühlen und mitreißenden Rhythmen. Ein scheinbares Durcheinander war kunterbunt über interessante Klangcluster gesetzt, während zudem Elemente aus Prokofjews und Strawinskis neuer Musik anklangen – doch übersetzt in Schostakowitschs Sprache, die das Publikum verblüfft.
Ein Feuerwerk an Klang und Rhythmus
Unter der präzisen Führung von Aziz Shokhakimov zog das SWR-Symphonieorchester alle Klangregister: abwechslungsreich und bunt, ein Feuerwerk an Klang und Rhythmus, frech und elegant zugleich. Aziz Shokhakimov dirigierte mit Inspiration.
Er ließ es zu, dass das Holz schrillte, die Trompete sich in ein keckes Instrument und die Hörner in blökende Schafe verwandelten. Aber ebenso vernahm das Publikum Karussell, effektvollen Trommelwirbel und aufblühenden Gefühlsüberschwang. Ein junger, ungebremster Schostakovitsch voller Kontraste begeisterte das Publikum bis zur rhythmischen Eskalation und dem bombastischen Schluss. Helga Mikosch