Diese Aha-Erlebnisse kennt wohl jeder, wenn die kleinen Erinnerungsblitze aufleuchten, die »früher« und »war schon schön« in Kopf und Herz hallen lassen. Mit Sicherheit war nicht alles besser, aber vieles einfacher und unkomplizierter, um nicht zu sagen »analoger«. Der Kabarettist, Musiker und Schauspieler Stephan Zinner begibt sich in seinem aktuellen Programm »Raritäten«, das er auf der NUTS-Sommerbühne im Traunsteiner König-Ludwig-Hof präsentierte, auf die Suche nach den Vergangenen, Vergessenen, den beiseitegeschobenen Dingen des täglichen Lebens.
Im globalisierten Schneller-Höher-Weiter der Gegenwart bricht er den Alltag auf einen lokalen Mikrokosmos herunter und gräbt im Erinnerungskastl der Gehirnwindungen. Die Stimmung im König-Ludwig-Hof war bestens und ganz unversehens streifte der Geist der Nostalgie durch die Reihen, ließ Herzen höher schlagen und zauberte ein herzhaftes Lachen ins Gesicht und aus vollem Hals in den Raum.
Stephan Zinner, Jahrgang 1974 und gebürtiger Trostberger, war einst Fußballer beim TSV Heiligkreuz. Mehr mit »weniger Erfolg«, wie er grinsend erzählt, als mit viel Einsatz. »A Bummerl war i«, schildert er blumig seine Erlebnisse auf dem grünen Rasen. Übrigens: »Heit werd net gelogen!« klingt wie beim Keller Steff: »Es is ois wahr, wos i erzähl.« Lokale Lausbuben auf Erzähltour, oft wahr, manchmal überspitzt, aber immer herrlich unterhaltsam – und vieles kennt man ja noch selbst.
Rockstar wollte er mal werden, der Zinner; wegen des Coolness-Faktors. Wie er aber beim Konzert seiner Jugendband in der Kirche die Gitarre auf Pete Townsend-Art »zerballern« wollte, kam das »irgendwie schräg« – sprich, ging halt gnadenlos schief. Dann ist Zinner Kabarettist geworden, Musiker und Schauspieler in herrlich schrägen und durchgeknallten Rollen. Auch ohne des Ruch eines Pete Townsend oder Angus Young ein Publikumsliebling mit Coolness-Faktor. Also selbst eine Rarität.
Die Gegenwart: Gute Bedienungen sind rar, einen einfachen Kaffee in einer Großstadt, die »hip« sein will, zu bekommen manchmal schwer und die Taxifahrer sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Suchen mit dem Navi in München herum und verfahren sich trotzdem. War das noch schön, als die Fahrer jeden Winkel der Stadt kannten – »einfach so«.
Zinner ist stolz auf seinen noch minderjährigen Sohn, der jetzt das »Schieber-Diplom« hat und in der Tanzschule die einschichtigen Damen übers Parkett führt. Und er freut sich sakrisch, wenn er in der Weltstadt mit Herz im Bioladen eine einzelne Flasche seines geliebten Felsenkellerbiers entdeckt und nach langem Verhandeln wenigstens ein paar Halbe kaufen kann.
Dackel, Fußball, Dialekt, Berufe beziehungsweise zwischenzeitlicher Ausübungsstopp, Familienheil, Bienen und das zwangsweise Pandemie-Gärtnern am Balkon – die Themen gehen querbeet und fast überall gibt es Raritäten zu entdecken. Zurufe, Ergänzungen und »faktische Belehrungen« aus dem Publikum parierte Stephan Zinner lustig und humorvoll. Man kennt sich halt.
Und dann gab es da noch Peter Pichler. Zinners Sidekick und musikalische Ergänzung. Verschanzt hinter einer schwarzen Sonnenbrille und bisweilen pseudo-demonstrativ hinter einem »guten« Buch gibt er den Schweigsamen, Bescheidenen und Zurückhaltenden. Kaum zu glauben, dass er 1979 in München die Punkband »Condom« gegründet hatte. Zwischenzeitlich wohl aufgelöst, fanden sie sich irgendwann wieder zusammen und brachten zum 40-jährigen Jubiläum sogar eine CD heraus.
Pichler ist studierter Musiker und beherrscht das Trautonium, eines der ersten elektronischen Musikinstrumente und der Vorläufer des heutigen Synthesizers. Also einer, der das Ungewöhnliche und die Herausforderung liebt – ein Raritätenliebhaber halt. Und nein, das hatte er nicht dabei, dafür aber eine matt glänzende Tuba, ein weißes Akkordeon und verschiedene feinste Flöten. Mit diesen Instrumenten wurden er und Stephan Zinner (der selbst ein »hübsches Gitarren-Sortiment« dabei hatte) zu einer vielfältigen Two-Man-Band, die herrliche Satire-Texte aufs Trefflichste vertont – ein großer Genuss und ein Riesenvergnügen für alle Besucher. Maria Ortner