Ernste, schwere Musik, ein anspruchsvolles und sehr berührendes Programm, mit absoluter technischer Brillanz vorgetragen vom Novus String Quartett und dem weltberühmten Violonisten Kolja Lessing – das ist zusammengefasst die Quintessenz des vierten Konzerts bei den 41.Traunsteiner Sommerkonzerten in der nicht ganz ausverkauften Klosterkirche.
Hoch konzentriert und ideal aufeinander eingestimmt spielten die vier jungen Koreaner, Jaeyoung Kim und Young-uk Kim, beide Violine, Kyuhyun Kim, Viola, und Wonhae Lee, Violon-cello, zu Beginn das Streichquartett Nr. 1 opus 21 von Paul Ben-Haim, geschrieben 1937. Im Jahr 1897 wurde Ben-Haim als Paul Frankenburger in München geboren und war nach der Aus-bildung an der Akademie für Tonkunst sieben Jahre Kapellmeister am Theater Augsburg, wo er aber schon 1931 aus antisemitischen Gründen vom Dienst entfernt wurde. Zwei Jahre später gelang ihm die Flucht nach Palästina, wo er unter neuem Namen als Dirigent, Musikerzieher und Komponist wirkte. Er starb 1984 in Tel Aviv.
Wie einige andere Komponisten, die 1933 nach Israel einwanderten, erinnerte sich Ben-Haim an das asiatisch-jüdische Melo-diengut, das seine Kompositionen deutlich beeinflusste. Das war auch bei dem in der Klosterkirche gespielten Streichquartett Nr. 1 zu hören. Es war sein erstes in Palästina entstandenes Werk und wurde schnell zu einem der populärsten Kammermusikwerke. Sehr ernst, mit tiefster Empfindung sind alle vier Sätze gehalten, eine eher sperrige Musik, die dem Hörer einiges abverlangt – nur das Rondo–Finale erinnert kurzzeitig an die jüdische, volksmusikalisch fröhliche Klezmer-Tradition.
Die zwei folgenden Solo-Violinstücke bestritt der 1961 in Karlsruhe geborene Ausnahmemusiker Kolja Lessing. Er ist einer der vielseitigsten Musiker unserer Zeit, der »als Geiger und Pianist durch seine Verbindung von interpretatorischer und wissenschaftlicher Arbeit dem Musikleben prägende Impulse« verlieh, heißt es im, mit viel Fachwissen gestalteten, lesenswerten Programmheft zu den Sommerkonzerten. Lessing spielte «Bashrav« von dem jüdischen Komponisten Abel Ehrlich (1915 bis 2003), der, in Ostpreußen geboren wie Ben-Haim, ebenfalls zur ersten Einwanderergeneration in Palästina gehörte. Durch das 1953 komponierte Solo-Violinstück wurde er schlagartig berühmt. Der aus der arabischen Folklore entlehnte Titel »Bashrav« verweist auf seine rondo-artige Form, deren wiederkehrende Teile einem ständigen Verwandlungsprozess unterliegen.
Das zweite Stück, das Lessing zu Gehör brachte, war »Kol« für Violine solo, eigens 2011 komponiert für ihn, Kolja Lessing, von seinem Lehrer Tzvi Avni (geboren 1927 und der einzig noch lebende Komponist des Konzerts). »Kol« bedeutet einerseits hebräisch »Stimme«, verweist andererseits aber auf Lessings Vornamen. Verschiedenste Charaktere kontrastieren in »Kol«, rhythmisch markante Episoden erwecken in ihrer mehrfachen Wiederkehr Rondo-artige Assoziationen, obwohl es sich um kein Rondo handelt.
Als letztes Stück erklang das Streichquartett Nr.2 a-Moll opus 51/2 von Johannes Brahms (1833 bis 1897). Im Unterschied zu Haydn, der 83 Streichquartette komponierte und auch veröffentlichte, hatte Brahms Skrupel. Bevor er nach sechsjähriger Arbeit 1873 die beiden Streichquartette opus 51 veröffentlichte, hatte er bereits über 20 andere geschrieben und wieder verworfen. Auch opus 51/2 war eine »Zangengeburt«, wie Brahms schrieb, Seine Bedenken erklären sich aus dem hohen Anspruch, den die Quartette der älteren Kollegen, Haydn, Mozart und Beethoven, an jeden jüngeren Komponisten stellten.
Brahms gelang es jedoch, durch eine ganz eigene Technik aus dem Schatten der großen Vorbilder herauszutreten, nämlich durch eine »entwickelnde Variation«, wie man es nannte. Gemeint sind die sich ständig fortschreibenden, immer neue Varianten bildenden Keimzellen seiner Musik. So lässt sich das An-dante moderato des a-Moll-Quartetts auf ein einziges Zweitonmotiv zurückführen, aus dem alle Themen des Satzes ableitbar sind. Der Kopfsatz ist in klarer Sonatenform aufgebaut. Die Tonfolge der ersten Violine besteht aus AFAE, womit Brahms auf sein Lebensmotto »Frei, aber einsam« anspielte.
Ein anspruchsvolles, aber wunderbares Konzerterlebnis, das neben Kolja Lessing den vier Musikern des Novus String Quartetts zu verdanken ist. Zu Recht hat das Quartett seit seiner Gründung 2007 in Korea viele Preise bei internationalen Wettbewerben gewonnen und wird hymnisch gefeiert. Seit 2011 leben die Musiker in Deutschland und haben unter anderem bei dem Dirigenten und Geiger Christoph Poppen den letzten Schliff bekommen.
Wie bei allen Stücken dankte das Publikum den sichtlich hoch engagierten Musikern mit frenetischem Applaus und Bravo-Rufen. Erneut ein herausragendes musikalisches Ereignis!
Christiane Giesen