26 Jahre alt ist er laut Libretto und doch ein gebrochener Mann. Mit dem Landbreverl Tatjana hat er geflirtet, sie aber dann, nachdem sie erwartungsgemäß lichterloh in Liebe entflammt war, hochmütig abblitzen lassen. Und er hat gleich noch, aus Jux und Tollerei, mit ihrer Schwester Olga kokettiert, was deren Verlobten Lenski in Rage brachte. Satisfaktion mit Todesfolge für den Unschuldigen. Ein charmanter Tunichtgut, wie er im Opernbüchl steht.
Den Reuigen, der jetzt seinerseits um Tatjanas Gunst winselt, lässt die Sitzengelassene (unterdessen verheiratet) abblitzen. Da hat Regisseur André Heller-Lopez eine gute Idee gehabt und zum hochdramatischen Disput die unterdessen uralte Amme Filipjewna als Dritte dazugesetzt: Im Grande Finale, in dem Tatjana den Werbungen des bekehrten Frust-Lovers so energisch widerstehen wird, folgt die Amme mit zufriedenem Lächeln dem für Onegin wenig erfreulichen Gang der Dinge. Die Neuproduktion im Salzburger Landestheater verdient es, dass man bei der Musik und nicht im Szenischen ansetzt: Wie doch das Haus gleichsam zum Klingen kommt! Leo Hussain bringt mit dem hoch ambitionierten Mozarteumorchester die vielen Tänze, vom Volkstümlichen bis zu den stilisierten Tänzen der besseren Gesellschaft, pointiert und doch nicht selten mit hochpoetischem Einschlag rüber.
Und die vielen melancholisch eingetrübten Lyrismen, die Moll-Nebel lässt er die Streicher im Bedarfsfall voluminös auskosten, ohne den Sängern quasi die »Wohnzimmer-Qualität« zu nehmen. Genaue musikalische Charakterzeichnungen: Zhala Ismailova als Tatjana schafft es, Unschuld und Reife zugleich zu suggerieren. Sie wirkt schutzbedürftig, auch wenn sie der Emotion freien Lauf lässt, und sie scheint innerlich zu glühen, auch wenn sie sich wie zum Selbstschutz wieder einmal in den Seiten ihrer Bücher vergräbt.
An einem solchen Kern im Frauenensemble finden die Stichwortbringer (Emily Righter als kokette Olga, Frances Pappas als Mutter Larina) die rechten Angelpunkte. Anna Maria Dur als Amme Filipjewna ist eine in jeder Hinsicht persönlichkeitsstarke Dialogpartnerin. Simon Schnorr ist ein Onegin mit Klasse: Ganz schlank artikuliert er, den Bonvivant hat er in der vokalen Färbung und Geschmeidigkeit des Registerausgleichs drauf, und optisch ist er sowieso auf die Herzensbrecher abonniert. Kein Zuviel, keine Manierismen. Da trifft er sich wieder mit dem Tenor Sergey Romanovsky, der gerade deshalb punkten kann, weil der Orchesterklang durchdringbar bleibt für die Sänger und er seinen Schmelz mühelos bis in exponierte Höhen fließen lassen kann. Originell, weil mit einer beweglichen und gar nicht »großen« Stimme besetzt: Alexey Birkus als Fürst Gremin. In seiner rhetorisch gut durchgearbeiteten Arie wird deutlich, dass er eine Hasstirade auf die verlogene Gesellschaft ausspuckt, die eines Thomas Bernhard würdig wäre.
Viel Aufmerksamkeit hat Regisseur André Heller-Lopez den Beziehungsfäden der Hauptprotagonisten gewidmet, wobei er ihnen dekorative Opernposen wohl nicht erst auszutreiben suchte. Es wird, wenn man so will, konservativ erzählt. Die Chorszenen erstarren im Dekorativen, und das kann man mit einigem guten Willen auch als Deutung einer gesellschaftlichen Situation sehen. Die Bewegung gefriert zur Pose, sowie die bunt herausgeputzten Landleute auch nur in Sichtweite der dekadenten Society sind – und diese selbst wirkt, im durch und durch blütenweiß-aseptischen Salon-Klima, wie eingefroren in den eigenen Verhaltensmustern.
Der moderat-fomalistischen Bewegung (von Menuett und Walzer über Mazurka bis zur Polonaise) hat Choreograph Alexander Korobko plausibel zugearbeitet und dabei weder Chor noch Statisterie überfordert. Der Chor (Stefan Müller) hat derzeit eine besonders gute Phase. Aufführungen finden bis 27. Mai statt. Reinhard Kriechbaum