Dass wir in wahrhaft seltsamen Zeiten leben, ist nicht gerade ein Geheimnis. Da zettelt ein lupenreiner Diktator vor unserer Haustür einen der sinnlosesten Kriege an, die Chinesen möchten ihr Geschäftsmodell der totalen Überwachung in die Welt hinaustragen, und der Klimawandel droht, die Erde unbewohnbar zu machen.
Und was machen wir im Westen? Wir spielen Sittenpolizei im Schulfach Sprache und werden allen Ernstes dazu angehalten, Frauen als »Wesen, die menstruieren« zu bezeichnen. Da kommt ein »Sittenstrolch« wie der 1972 in Würzburg geborene und seit 16 Jahren in Leipzig lebende Kabarettist Mathias Tretter genau zum richtigen Zeitpunkt, um diesem Wahnsinn auf den Leib zu rücken, scharf, hintergründig und bitterkomisch. So wie jetzt in der gut besuchten Traunsteiner Kulturfabrik NUTS, wo er mit »Sittenstrolch« sein siebtes Solo-Programm vorgestellt hat.
Als roter Faden dienten ihm dabei die wunderbar launigen Diskussionen, die er auf offener Bühne mit seinem imaginären Schulfreund Ansgar führte, einem passionierten Kiffer und Uni-Philosophen mit Sechzehntelstelle, der Nietzsche verehrt und gerade auf einer Dating Plattform für Akademiker von einer jungen chinesischen Pianistin als Lebenspartner auserwählt wurde.
Für Tretter eine unmögliche Verbindung. Immer diese Chinesen! Vor rund 40 Jahren lagen sie noch 50 Jahre zurück, inzwischen sind sie uns 20 Jahre vo-raus. Was die sich wohl denken, wenn sie sehen, wie ganz Deutschland wieder Fahrrad fährt? Nur das Corona-Virus kriegen sie nicht in den Griff. Wie auch, wenn im Eintopf ein halber Zoo schwimmt. »Dabei verstehen sich die Chinesen ja eigentlich auf Säuberungen«, so der Kabarettist. »Aber Viren sind halt keine Uiguren.«
Was Tretter aber noch mehr empört: Während Putin einen Krieg nach dem anderen führt und in den USA der Rassismus grassiert, ist die »Moral in Deutschland so gut behütet wie nie zuvor.« Dabei war »Moralapostel« früher ein Schimpfwort und es hatte gereicht, sich gesetzestreu zu verhalten. Nicht so heute, wo der digitale Mob beziehungsweise der »Sklavenaufstand der Moralisten« (Nietzsche) darüber bestimmt, was erlaubt ist oder wer sich verletzt fühlen darf.
Da denkt der Kabarettist lieber an seine Jugendzeit in Franken zurück, als ein Besuch im Chinarestaurant noch etwas Besonderes war (heute ist darin ein Hundesalon untergebracht), als die Helmpflicht individuell interpretiert wurde und in Talkshows dermaßen gequalmt wurde, dass man sich in einer Ratesendung wähnte. Viel Applaus erhält Tretter auch für seine Anmerkungen zum Thema E-Bikes: »Wann gibt es Gehhilfen auch fürs Laufen?«, und wer jemals ein Szenelokal betritt, so der Kabarettist, sollte darauf gefasst sein, dass der Kellner ihn fragt: »Was magst du?« Wobei direkt Frisches ohnehin nicht auf den Tisch kommt, weil »Das Essen muss heute eine Geschichte haben.«
Eine Geschichte für sich ist abschließend auch die Rede, die er als Trauzeuge für seinen Freund Ansgar hält – gewaltfrei und gendergerecht natürlich. Aber ist »ein Wesen, das menstruiert« wirklich die bessere Bezeichnung für eine Frau? Überlassen wir Tretter dazu das letzte Wort: »Ich bin gegen Gewalt und soll die Sprache vergewaltigen?«
Wolfgang Schweiger