Bei der Vernissage, die musikalisch von den »Gschpürigen« (Judith und Robert Heckel) einfühlsam untermalt wurde, hielt Kunsthistorikerin Hedwig Amann für die zahlreichen Besucher eine gut verständliche Einführung über Reicherts Kunstschaffen und seine Werke. Ein eigenes Zitat über sein Schaffen trifft das, was er macht, wohl am besten: »Ich bin kein Typograf, der Kunst macht, sondern ein Künstler, der Typografie macht.«
Josua Reichert gilt heute auf dem Gebiet der Typografie als der wichtigste zeitgenössische Künstler Europas. Mit Werkzeug wie Löffel, Farbwalze und Kniehebelpresse druckt er in lateinischer, griechischer, kyrillischer, hebräischer und arabischer Schrift. Damit ist er gleichermaßen in der Schriftkultur und der Weltliteratur zuhause. Profunde Sachkenntnis der klassischen Druckkunst, die Verwendung von unterschiedlichsten Materialien, Farben und Werkzeugen, bieten ihm ein unerschöpfliches Spektrum für kreativ-innovative Ausflüge in die endlose Landschaft der künstlerischen Gestaltung.
Die von Reichert ausgewählten Texte reichen von der Antike bis zur Gegenwart. Sie müssen ihn, wie er sagt, »im Innersten berühren und inspirieren«, sein kreatives Feuer entfachen, sodass er sie in Schrift, Wort Farb- und Formgestaltung künstlerisch zur Wirkung kommen lässt. Anhand seines Verständnisses der eigenen wie fremden Kultur hebt er Unterschiede auf und lässt Grenzen zwischen Kunst und Poesie verschwimmen.
2010 wurde Josua Reichert mit dem Jerg-Ratgeb-Preis, einem der bedeutendsten Kunstpreise, für sein Lebenswerk geehrt. Das Ergebnis seines Schaffens reizt den Betrachter zum genaueren Hinschauen. Das Auge verliert sich in geometrische Formen, leuchtenden, scharf voneinander abgegrenzten Farben, unbekannte Zeichen und Formen, fast als wolle Josua Reichert in seinen Werken Kulturen einander vor- oder gegenüberstellen, sie mit einander bekannt machen.
Auf seine eigene Weise scheint der Künstler in seinem Werk eine gewisse Art interkulturelle Kommunikation zu betreiben, die Sprachen, Kulturen, Religionen und Menschen einander näher bringt: Allein schon dadurch, dass sich in der Betrachtung seiner Werke Menschen begegnen und sich über das Gesehene unterhalten, austauschen und diskutieren.
Das ist ja eigentlich die Botschaft und Aufgabe der modernen Kunst: Nicht »nur« schön zu sein, sondern polarisierende Fragen aufzuwerfen, nicht festgelegt zu sein, sondern offenzulassen, keine Ergebnisse, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen, nicht nur Einblicke, sondern ebenso Ausblicke zu gestatten.
Die Ausstellung, die sich schwer beschreiben, dafür aber umso leichter betrachten lässt, ist noch bis zum 22. April täglich von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Die Kunsthistorikerin Hedwig Amann bietet am Samstag, 7. April, um 14 Uhr eine Ausstellungsführung und bei Interesse und Anfrage Gruppenführungen an, die per E-Mail unter hamann@kloster-seeon.de gebucht werden können. Kirsten Benekam