Die »Vierte« fordert geradezu auf, Dinge hinein zu interpretieren. Eine Allegorie auf die Unbeugsamkeit des freien Künstlertums. Irgendwie sind die Freiheitsgeister ja doch nicht klein zu kriegen. Der erste Satz endet mit einer vorlauten Wortmeldung des Solofagotts (einer von vielen), energieversorgt von den Pizzicati der Kontrabässe und im Pianissimo untermalt vom Tamtam. Ist auch im ausufernden Finale das gegenüber den Machthabern vogelfreie, aber sich trotzdem frei wie ein Vogel gerierende Individuum stärker als alles Fortissimo-Ungemach, das hereinbricht? Man hat in dieser plastischen und tonlich elastischen Wiedergabe gleichsam die spöttischen Grimassen der Individuen ausnehmen können. Das Orchester hat jedenfalls keine Wünsche offen und keine Option zum Kolorieren ausgelassen, und Sir Simon Rattle hat das mit Mutterwitz angeführt, ohne die dräuenden Wolken in der Partitur auszublenden. Ein feines Panoptikum trotziger Selbstbehauptung.
Davor Benjamin Brittens halbstündige »Variations on a Theme of Frank Bridge« op. 10: Sie sind 1937 entstanden, für eine Salzburger Festspielaufführung übrigens. Man suchte damals ein zeitgenössisches Stück englischer Provenienz und kam auf den 24-jährigen, bis dahin nur ein paar Insidern bekannten Benjamin Britten. Er wurde dann rasch berühmt. Vielleicht fehlte es dieser Wiedergabe mit einem vergleichsweise riesigen Streichercorps ein wenig an Charme und leisem Hintersinn. Aber Power, weiß Gott, hatte diese von Rattle mit großer Geste angefeuerte Wiedergabe. Reinhard Kriechbaum