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Streichquartette Teil I im Preysingsaal mit (von links) Muriel Cantoreggi, Teemu Kupianen, Johannes Erkes und Floris Mijnders. (Foto: Erkes)

Das nackte Leben als Seelenlandschaft

Die Gesamt-Aufführung von Werkzyklen hat bei Festivo eine lange Tradition. Noch in bester Erinnerung ist die Interpretation aller sechs Streichquintette von Wolfgang Amadeus Mozart. In diesem Jahr bildeten beim Aschauer Kammermusik-Festival nun die frühen Streichquartette op. 18 von Ludwig van Beethoven einen besonderen Fokus. Hierzu wurden die sechs Werke an zwei Abenden aufgeführt – im schmucken Preysingsaal von Schloss Hohenaschau.


Wie immer bei Festivo gab es einen besonderen Ansatz, denn: Gespielt wurde auf den damals üblichen Darmsaiten. Bis weit ins ausgehende 19. Jahrhundert hinein waren sie bei Streichern der Standard. Danach wurden sie von den modernen Stahlsaiten ersetzt. Sie sind widerstandsfähiger, aber auch lauter, härter und kraftvoller im Klang – weniger farbenreich als die Darmsaiten. Genau damit punktete die Aufführung bei Festivo.

Mit den Darmsaiten haben es Muriel Cantoreggi und Teemu Kupiainen (Violinen) sowie Festivo-Leiter Johannes Erkes und Floris Mijnders (Cello) geschafft, vergessene Klangwelten zu erschließen – in Farbgebung und Schattierung. Der bestens bekannte Quartett-Zyklus Opus 18 erschien wie neu – ganz frisch und befreit. Beim Auftakt mit den Quartetten Nr. 1, 2 und 5 wirkte schon das offizielle Erstlingswerk wie eine gewaltige Provokation.

Im zweiten Satz gibt sich das »Adagio affettuoso ed appassionato« hochdramatisch. Ständig wechselt es zwischen schmerzlicher Leidenschaft und desolater Melancholie. Bei Festivo wurden die stillen Zäsuren genauso ausgekostet wie die jähen Ausbrüche und schroffen Kontraste – wie eine wortlose Opernszene. Der Stoff dieses Dramas ist das nackte Leben selber. Mit einer ähnlichen Ereignisdichte wurden die Streichquartette Nr. 2 und 5 aus op. 18 verlebendigt.

Wo Beethoven noch ganz Wiener Klassiker ist, spielte das Festivo-Quartett mit dossiertem Vibrato – historisch informiert. An den Stellen, wo Beethoven bereits die Tür zur Romantik weit aufstößt, ließen sie es satt glühen. Mit diesem undogmatischen Ansatz ging es am zweiten Abend mit den Quartetten Nr. 3, 4 und 6 weiter. Dieser Originalklang glühte und brannte, um die ursprünglichen Intentionen von Beethoven treffsicher einzufangen. Ein besonderer Höhepunkt wurde dabei das Streichquartett Nr. 6.

Mit seinem programmatischen Titel »La Malinconia« ist der Finalsatz eine für die damalige Zeit staunenswerte Reflexion einer depressiven Verstimmung. Bei Festivo wurde eine Seelenlandschaft hörbar. Schon die Adagio-Einleitung zu dem Satz wirkte erschütternd fahl und trist. Umso lebhafter das Allegretto, aber: Wiederholt bricht erneut die fahle Stimmung durch.

Dieser Gehalt würde besser zum Streichquartett Nr. 4 aus op. 18 in tragisch-düsterem c-Moll passen, aber: Hier irritiert Beethoven mit einer unbeschwerten Leichtigkeit. Umso schroffer wirkte das Menuett, denn: Die vier Musiker haben ein untrügliches Gespür für die feinen Zwischentöne und Stimmungsschwankungen, so auch im Dritten aus op. 18. Wie zu hören ist, könnten die Streichquartette op. 18 der Auftakt zu einem Beethoven-Gesamtzyklus bei Festivo sein – gut so! Marco Frei

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