»Nachrichten aus dem Hinterhaus« nennt der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer sein neues Programm, und es sind keine guten Nachrichten, die er zu vermelden hat.
Vor allem dank seiner fürchterlichen Nachbarn, die ihm mit ihrem Krach und ihrer Aufdringlichkeit den letzten Nerv rauben würden. Dabei wolle er doch nur in Ruhe seinen »Kaffee trinken und schnaufen«, wie er sagt. Und so schaut er auch aus: lässig frisiert, in schlabbriger Jogginghose und Pantoletten mit verschieden farbigen Socken.
Um sich abzulenken, habe er ein »Manifest des idealen Sonntags« verfasst, mit dem er sich hinter bekannten Autoren wie Marx, André Breton oder Walter Gropius nicht zu verstecken brauche. »Sie werden noch bis Mitte März davon zehren«, kündigt er selbstbewusst an.
Allerdings dauert es gut zwei Stunden, bis Egersdörfer dazu kommt, die 20 Gebote seines Manifests vorzutragen. Denn vorher muss er sich aufregen. Etwa über besagte Nachbarn, die sich über ihre Rolle auf diesem Planeten einfach nicht klar seien. Oder über einen Zuschauer, der auf eine Frage von ihm keine Antwort gibt: »Mit der Bildung ist es wohl nicht so weit her bei Ihnen«. Vor allem aber über seine verstorbene Mutter, die er in Gestalt einer unansehnlichen Handpuppe mit sich führt. Eine »freie Radikale«, von der er einfach nicht loskommt, trotz seiner mittlerweile 52 Jahre. Die behauptet zwar, dass er als Bauchredner nichts tauge, mischt sich aber dennoch ständig ein, vorlaut und besserwisserisch. Was dabei zutage kommt, ist nicht sehr erfreulich. Eine Kindheit als »Vorstadtprinz mit eigenem Chauffeur«, die ihm jedoch nicht gut bekommen ist, trotz der ständigen Versicherung seiner Mutter: »Für dich ist einmal gesorgt«.
Doch je mehr er räsoniert und poltert und dabei durchaus den Finger auf so manche (gesellschaftliche) Wunde legt, desto deutlicher wird, welch marode Figur der Kabarettist da so wortgewaltig wie temporeich verkörpert: Einen armen Tropf mit Mutterkomplex, der auf Psychopharmaka angewiesen ist, sich in Gewaltfantasien flüchtet und sich dennoch nicht scheut, die amerikanische Radikalfeministin Valerie Solanas zu zitieren, die in ihrem Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer einst schrieb: »Der Mann ist eine biologische Katastrophe. Mann sein heißt, kaputt sein«.
Der in Nürnberg geborene Kabarettist und Schauspieler (»Tatort«) kann aber auch anders. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Passauer Scharfrichterbeil, dem Bayerischen Kabarettpreis und dem Kulturpreis der Stadt Fürth, schweift er immer wieder ab und rollt zum Beispiel die Geschichte des mutigen Oberpfälzer Landrats Hans Schuierer auf, der in den 1980er Jahren in puncto Wiederaufbereitungsanlage Franz-Josef Strauß Paroli geboten hat.
Zuletzt kommt er noch auf das Manifest des sogenannten »Unabombers« Theodore Kaczynski zu sprechen, der zwischen 1978 und 1995 in den USA eine Reihe von Paketbomben verschickte und dadurch etliche Menschen tötete. Und das Manifest seiner Bühnenfigur? Dessen Essenz lässt sich mit zwei Zeilen aus einem Song von Bob Dylan zusammenfassen: »Ain‘t that the way it oughta be/To hold each other tight«.
Und so endet der Abend versöhnlich bzw. mit seinem Bekenntnis, endlich ein freundlicher Mensch werden zu wollen. Redlich erschöpft nach über zweieinhalb Stunden, wollen wir gerne daran glauben.
Wolfgang Schweiger