Der Wiener Paul Gulda, der zweitälteste Sohns von Friedrich Gulda, setzt in seiner eigenen Arbeit auf seine persönliche Weise das Erbe des Vaters fort, indem er zum Beispiel Haydn mit Roma-Musik verbindet. Für diesen ungewöhnlichen Abend in Traunstein konnte er eine Schar außergewöhnlicher Musiker gewinnen, die in der Klassik und im Jazz gleichermaßen beheimatet sind. Allen voran sein Duo-Partner Benjamin Schmid aus Salzburg.
Beide begannen mit der Sonate für Klavier und Violine B-Dur KV 454 des von Friedrich Gulda tief verehrten Wolfgang Amadeus Mozart. Das Duo begeisterte mit freiem, lustvollem Musizieren – tänzerisch, dem Atem und der inneren Bewegung folgend. Beide wirkten wie für sich selber spielend. Der mit zart aufgelegtem Bogen gestrichene raue Schlusston der Geige zu magischen Klavierakkorden beim Andante blieb im Gedächtnis. Selbst beim virtuosen Allegretto blieben die Musiker, die alles locker aus dem Handgelenk schüttelten, nie an Details und Läufen hängen. Virtuosität war nie Selbstzweck. Die Interpretation wirkte unangestrengt und hatte die größeren Zusammenhänge im Fokus. Stets hielt Gulda dabei intensiven Blickkontakt zum Geiger, der mit der Feinheit seines Tons in Bann zog. »Three songs for an abandoned angel«, drei Lieder für einen verlassenen Engel aus dem Jahr 2008 von der erst 36-jährigen Salzburgerin Sabina Hank stand anschließend auf dem Programm. Die beim Konzert anwesende, mehrfach preisgekrönte Salzburger Komponistin, Jazzpianistin und Sängerin hat das Tonsetzen autodidaktisch studiert und hat so ihren ganz persönlichen Stil. Die Salzburg Strings, Benjamin Schmid und der Linzer Schlagzeuger Christian Lettner interpretierten das zum Teil wie improvisiert wirkende Werk zu ihrer vollen Zufriedenheit.
Schon der Beginn ist genial: Ein Geigen-Tremolo wird rhythmisiert und entwickelt sich zu einem Ostinato-Motiv aus nur wenigen Tönen. Die tiefen Streicher spielen eine Gegenmelodie dazu. Nach einer Zäsur entstehen neue Miniatur-Themen. Immer mehr Bewegung kommt ins Ensemble, bis die Sologeige die Initiative ergreift. Ein überströmender Tanz wechselt mit Jazz-Anklängen, einem ruhigen Klangbad und polyphonen Passagen – eine Musik, die ganz im Augenblick lebt. Mit Intensität gestaltete Schmid seine Solokadenz.
Der zweite Teil begann erneut mit Mozart – diesmal Paul Gulda allein am Flügel, dem er auswendig die Klaviersonate B-Dur KV 333 entlockte. Sein Zugang zu dieser Musik wirkt unmittelbar. Gulda spielte selbstversunken mit entrücktem Blick, mit einer inneren Weite und als vollzöge er einen sakralen Akt. Frei variierte er die Tempi. Im Andante wirkte die Moll-Passage wie ein Erschrecken, eine Todesahnung und der Schluss wie ein Moment der Erschöpfung. Die Crescendi beim Allegretto grazioso entkräftete Gulda gleich wieder durch Verspieltheit. Frech zögerte er die Töne hinaus, die zur Reprise hinführten, und lächelte zwischendrin dem kleinen Mädchen seines Freundes Benjamin Schmid zu.
Alle technischen Finessen, wie Glissando, Martellato, Kratzen des Bogens und Flageolett, waren Benjamin Schmid beim Konzertstück »Wings« von Friedrich Gulda abverlangt. Mit den Salzburg Strings, Lettner sowie dem Laufener Dietmar Kastowsky am E-Bass sowie dem Salzburger Andreas Steiner an Pauken und Congas schuf er, selbst beim Musizieren tanzend, ein vielschichtiges, experimentelles und rhythmisch bewegtes Klanggebäude mit Jazz-, Zigeunermusik- und Klassik-Elementen. Das Publikum taute auf und ließ sich nach seinem furiosen Solo zum Zwischenapplaus hinreißen. Als Zugabe spielten Gulda und Schmid »In a sentimental mood« und »Thoughts over caravan« von Sabina Hank. Alle Interpreten und die Komponistin wurden gebührend gefeiert. Veronika Mergenthal