Bad Reichenhall (dpa) – Nach Bekanntwerden entwürdigender Rituale in einer Kaserne im baden-württembergischen Pfullendorf beschäftigen weitere Berichte über Missstände und Mobbing die Bundeswehr. Ein Soldat der Gebirgsjäger in der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall wurde laut Berichten von Kameraden und Vorgesetzten monatelang sexuell belästigt und diskriminiert. Dabei geht es um verbale sowie tätliche sexuelle Angriffe.
Update am Mittwoch, 15 Uhr:
Laut neuen Berichten soll ein Soldat mit einem Luftgewehr Mäuse getöten haben. Hochstaufen-Kaserne: Mäuse mit Luftgewehr getötet?
Update am Dienstag, 13.55 Uhr:
Wegen sexueller Belästigung, Volksverhetzung und Verstößen gegen das Tierschutzgesetz ermittelt die Staatsanwaltschaft nun gegen mehrere Gebirgsjäger. Die Ermittlungen liefen bereits seit Februar, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. Gegen einen Soldaten richten sich Vorwürfe wegen Mobbings und «sexualbezogener Verfehlungen». Gegen drei weitere Soldaten werde in zwei weiteren Fällen wegen Volksverhetzung und wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ermittelt. Nähere Angaben zu den Vorwürfen wollte der Sprecher nicht machen.
Die Bundeswehr wird laut eigenen Angaben keine voreiligen Schlüsse ziehen. Zuerst müssen die Ermittlungen abgeschlossen und bekräftigt werden.

13.00 Uhr:
Die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe bei den Gebirgsjägern sind nach Auffassung der Linkspartei im Bundestag keine Einzelfälle. Die Übergriffe offenbarten «ein systemisches Problem bei der Bundeswehr», erklärte die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Christine Buchholz, am Dienstag. Zwischen 2015 und 2016 sei die Zahl der beim Wehrbeauftragten gemeldeten sexuellen Belästigungen um 50 Prozent gestiegen. «Die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall machen nicht zum ersten Mal Negativschlagzeilen. Das wirft die Frage nach einem Eigenleben in diesem Teil der Truppe auf. Die Bundesregierung muss die Zustände gründlich untersuchen.»

11.20 Uhr:
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Traunstein stehen noch ganz am Anfang. Behördensprecher Björn Pfeifer wollte sich am Dienstag zunächst nicht zu den konkreten Vorwürfen gegen Unteroffiziere und Kameraden des Opfers äußern. Er verwies auf eine Erklärung zu einem späteren Zeitpunkt. Nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Demütigung des Soldaten vor wenigen Tagen hatte Pfeifer von «sexualbezogenen Überschreitungen» gesprochen und hinzugefügt: «Wir ermitteln den Sachverhalt.»

Erstmeldung, Montagabend:
Bereits am 5. Oktober 2016 habe sich das Opfer an den Wehrbeauftragten gewandt. Darüber unterrichtete das Verteidigungsministerium am Montag den Bundestag in einem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 14 Soldaten in dem Fall. Zuvor hatten die «Süddeutsche Zeitung» und der «Bayerische Rundfunk» darüber berichtet.
Der Soldat hatte sich dem Schreiben zufolge bereits im Oktober 2016 an den Wehrbeauftragten gewandt. Die Vorfälle passierten demnach zwischen November 2015 und September 2016. Das Ministerium bezeichnet die Vorfälle in dem Schreiben als «äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel», sie würden aber im Gegensatz zu Pfullendorf nur eine Teileinheit betreffen, die verantwortlichen Kommandeure hätten umsichtig und konsequent reagiert. Der direkte militärische Vorgesetzte des betroffenen Soldaten sei aus seiner Funktion herausgelöst worden, der Betroffene selbst sei versetzt worden. th/dpa
Zum Original-Bericht vom 16. März.

Hintergründe:
Gebirgsjäger – Spezialisten für schwieriges Gelände
Für den Kampf in schwierigem Gelände unterhält die Bundeswehr eine Spezialtruppe. Die 5300 Soldatinnen und Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 gelten als körperlich besonders fit, können klettern und Ski fahren. Sie sind für den Einsatz unter extremen Witterungs- und Geländebedingungen ausgebildet und ausgerüstet. Als Einsatzgebiete kommen neben dem Hochgebirge auch Wüste und arktisches Gelände infrage.
Die Spezialtruppe mit dem Edelweiß im Abzeichen ist an fünf südbayerischen Standorten stationiert. Sitz der Brigade ist Bad Reichenhall. Aushängeschild sind neben dem hohen Ausbildungsstand der Soldaten und der besonderen technischen Ausrüstung die Tragtiere der Gebirgsjäger. Die Mulis sind eine Kreuzung aus Pferd und Esel.
Mehrfach wurden die Soldaten in Auslandseinsätze geschickt. So waren Gebirgsjäger im Rahmen der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan und als Teil der Friedenstruppe KFOR im Kosovo. Wegen Verfehlungen wie ekelerregende Aufnahmerituale und jüngst Vorwürfe der sexuellen Nötigung ist die Gebirgstruppe immer wieder in den Negativschlagzeilen. Gebirgstruppen der Wehrmacht begingen im Zweiten Weltkrieg in Italien und Griechenland Kriegsverbrechen.
Frühere Fälle von sexuellen Übergriffen bei der Bundeswehr:
Der Skandal um sexuelle Übergriffe bei Gebirgsjägern im oberbayerischen Bad Reichenhall erinnert an frühere Fälle. Einige Beispiele:
2017: Soldaten der Bundeswehrkaserne in Pfullendorf in Baden-Württemberg berichten von demütigenden Aufnahmeritualen. Zudem sollen Ausbilder untergebene Soldatinnen zum Tanz an der Stange gezwungen und sie im Intimbereich abgetastet haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung.
2010: Eine 25-jährige Kadettin geht auf dem Segelschulschiff «Gorch Fock» nachts über Bord und ertrinkt. Ihr Tod löst eine Affäre aus, in der auch Schikanen und sexuelle Belästigung an Bord des Dreimasters angeprangert werden.
2010: Im Februar werden entwürdigende Aufnahme-Rituale der Gebirgsjäger im oberbayerischen Mittenwald bekannt. Neulinge in der Edelweiß-Kaserne müssen den «Fuxtest» über sich ergehen lassen. Dazu gehören das Essen roher Schweineleber und Alkoholkonsum bis zum Erbrechen. Nach ersten Aussagen aus Mittenwald gehen beim Wehrbeauftragten Schreiben von Soldaten aus weiteren Kasernen ein, die von ähnlichen Praktiken berichten.
2006: Berichte über obszöne Praktiken in einem Bataillon der Fallschirmjäger im pfälzischen Zweibrücken sorgen für Aufsehen. So wurde einem Mann bei einer Feier 2005 Obst zwischen die entblößten Pobacken gesteckt und mit einem Paddel darauf geschlagen. Im Juni 2008 verurteilt das Amtsgericht Zweibrücken einen Hauptmann zu 2000 Euro Geldstrafe, weil er das «entwürdigende Verhalten» seiner Untergebenen geduldet habe.
dpa