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Lachend sitzt der siebenjährige Lucas auf dem Therapiepferd Galuna, das Reitlehrerin Gertraud Forster am Strick festhält. (Foto: A. Hauser)

»Als wären sie beim Reiten in ihrer eigenen Welt«

Teisendorf – Mit einem breiten Grinsen im Gesicht steigt der siebenjährige Lucas von Galuna ab. »Bis nächste Woche«, verabschiedet er sich von seiner Reitlehrerin Gertraud Forster und ihrer Helferin Margit Wolfgruber. Immer freitags hat er Reitstunden auf dem Hof der Familie Neumeier in Moosleiten bei Teisendorf statt. Aber es ist kein gewöhnlicher Reitunterricht. Denn Lucas hat das Downsyndrom und braucht deshalb beim Reiten besondere Unterstützung.

Schon seit 20 Jahren bietet Gertraud Forster in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Berchtesgadener Land in Teisendorf die pferdegestützte Heilpädagogik für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an. Dabei möchte sie vor allem eines: Den geistig und zum Teil mehrfach behinderten Menschen mehr Lebensqualität schenken.

Angefangen hat alles mit einer Umfrage der Lebenshilfe, die geistig beeinträchtigte Menschen in den Werkstätten nach ihren Wünschen befragte. Damals hatten sich viele eine reitgestützte Therapie gewünscht. Heute nehmen rund 25 Kinder und Erwachsene der Lebenshilfe Berchtesgadener Land das Angebot des therapeutischen Reitens an. Die Warteliste dafür ist aber ziemlich lang, erzählt Forster.

Jeder Reiter ist anders und braucht mal mehr, mal weniger Unterstützung, erklärt die Reitlehrerin. Der siebenjährige Lucas zum Beispiel braucht kaum Hilfe beim Auf- und Absteigen von Reitpferd Galuna. Am Ende seiner Reitstunde steigt er schnell über eine kleine Rampe von der Stute ab und läuft in die Arme seiner Mama, die schon auf ihn gewartet hat.

Ganz anders ist es bei Katrin. Sie ist 15 Jahre alt und Autistin. Beim Aufsteigen auf das Reitpferd muss Margit Wolfgruber helfen, Katrin ist etwas unsicher und traut sich am Anfang nicht richtig. Sie gehört zu den Reitern, die ganz still und ruhig auf Galuna sitzen. Aber das ist nicht immer so, wie Forster erklärt. Einige der Reiter hampeln ziemlich rum und halten sich nicht still. Da brauchen die beiden Pferde Galuna und Helga viel Geduld und starke Nerven, erklärt Gertraud Forster. Wieder andere können sich nicht so gut bewegen, sitzen ziemlich steif auf den Pferden und können so auch den sanften Bewegungen des Pferdes nicht folgen. Das ist dann vor allem sehr anstrengend für den Pferderücken, so Forster. Aus diesem Grund werden Galuna und Helga auch regelmäßig gewechselt. Immer nach zwei Reitstunden darf Galuna eine Stunde Pause machen und Helga ist an der Reihe. Neben den Reittherapiestunden haben die Pferde aber auch eine sogenannte »Ausgleichsarbeit«, erzählt Forster. So werden sie ganz normal ausgeritten oder vor Kutschen gespannt. Die beiden zwölf- und achtjährigen Stuten haben eine jahrelange Ausbildung hinter sich. Nach einer normalen zweijährigen Ausbildung zum Reitpferd absolvierten beide Pferde auch eine zwei- bis dreijährige Ausbildung zum Reittherapiepferd.

Galuna und Helga sind Freiberger. Das ist eine ursprünglich Schweizer Pferderasse, die vor allem für ihren ruhigen und freundlichen Charakter bekannt ist. Sie sind sehr leistungsfähige Tiere, die vielseitig einsetzbar sind, berichtet Forster.

»Heute reiten wir aus«, sagt Margit Wolfgruber zu Katrin. Gertraud Forster führt dabei Galuna an einem Strick am Halfter und Margit Wolfgruber hält Galuna zusätzlich an einem Zügel fest. So ist Galuna doppelt gesichert und kann nicht auskommen, wenn sie zum Beispiel mal erschrickt. Forster und Wolfgruber haben so außerdem immer einen Blick auf Katrin oder den jeweiligen Reiter. An Tagen mit schlechtem Wetter finden die Reitstunden in der Reithalle der Familie Neumeier statt. Dort können die Reiter auch mal im Galopp oder Trapp reiten. Mutige Reiter dürfen auch mal rückwärts auf den Pferden sitzen, sich auf den Pferderücken knien oder stellen.

An diesem Tag ging es für Katrin aber an die frische Luft. »Ausreiten mögen die meisten am liebsten«, erklärt Forster. Katrin spricht dabei kein Wort. Aber auf ihrem Gesicht breitete sich aber ein richtiges Lächeln aus. »Das ist bei vielen so«, erzählt Forster und Margit Wolfgruber ergänzt: »Bei eingen wirkt es, als wären sie beim Reiten in ihrer eigenen Welt, in die ich gerne mal schauen würde.«

Gertraud Forster ist froh, dass trotz der Corona-Beschränkungen das therapeutische Reiten regelmäßig stattfinden kann. Da es sich bei den Reitstunden um eine Therapie handelt und nicht um einen Einzelsport, darf die ausgebildete Therapiereitlehrerin die Reitstunden anbieten. »Natürlich unter Vorschriften«, wie sie erklärt. So müssen die Teilnehmer und die Reitlehrerinnen eine Maske tragen und auch die beiden Festhaltegriffe am Pad, einer Art Decke, die anstelle eines Sattels auf dem Pferderücken liegt, werden nach jedem Reiter desinfiziert.

Auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bietet das therapeutische Reiten eine Abwechslung. »Viele von ihnen dürfen immer noch nicht in die Werkstätten oder in die Schule; die Reitstunden sind deshalb für viele eine Möglichkeit, einfach mal rauszukommen«, sagt Forster. Finanziert wird die tiergestützte Heilpädagogik hauptsächlich mit Spenden, die Teilnehmer müssen sich nur mit einem geringen Betrag selbst beteiligen. Zudem werden die Reitstunden von der Lebenshilfe bezuschusst. aha

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