Der 65-jährige Beklagte - Jurypräsident und Europa-Cup-Koordinator des FIBT - war an jenem Tag ehrenamtlicher Startleiter am Rodelstart »S1«, der unerfahrenen Crews für Testläufe dient. Wie 2010/11 das Amtsgericht Laufen und das Landgericht Traunstein in Strafprozessen feststellten, hatte der 65-Jährige den Damenbob vom Startpunkt »S1« trotz roter Ampel losgelassen. Ungefähr zeitgleich fuhr bei »Grün« vom 182 Meter höher gelegenen »Bobstart« ein russischer Männerschlitten los. Die Männer holten den zwischenzeitlich gestürzten Damenschlitten in Höhe der »Echowand« ein. Alle vier Nachwuchsathleten wurden verletzt. Die Bremserin des Damenbobs traf eine abgerissene Kufe im Beckenbereich - mit lebensgefährlichen Folgen wie offenen Knochenbrüchen und massivsten inneren Verletzungen. Notoperationen retteten das Leben von Irina S., die seither ein Martyrium durchleiden musste mit weiteren chirurgischen Eingriffen, Komplikationen im Heilungsverlauf, monatelangen Krankenhausaufenthalten in Deutschland und in ihrem Heimatland, langwierigen Reha-Maßnahmen und Behinderungen bis heute. Kein Gericht konnte bisher persönlich mit der nicht reisefähigen Geschädigten reden.
In intensiver Befragung versuchten die Prozessbeteiligten möglichst genau den Ablauf jenes Tages vor mehr als drei Jahren zu rekonstruieren - wie schon die Strafgerichte, deren Entscheidungen jedoch in dem Zivilverfahren keinerlei Rolle spielen.
Gestern ging es beispielsweise um konkrete Zuständigkeiten, um Personalstärke, um Präsenz der verschiedenen Verantwortungsträger, um die zeitliche Abfolge, um Technik wie Kameras, Rufsäulen und Lautsprecher. Eine Aussage wiederholte sich sinngemäß bei mehreren Zeugen: Grundsätzlich ist ein Start bei roter Ampel tabu. Ein Zeuge betonte, der 65-Jährige sei nicht als Jurypräsident tätig geworden, sondern habe als Startleiter ausgeholfen: »Zu dem Zeitpunkt war keiner da, der den Start gemacht hat.« Bobcheftrainer Christoph Langen schilderte, er habe damals den Startplatzwechsel von »S1« zum »Bobstart« nicht mitbekommen. Ein Aktiver der deutschen Bobnationalmannschaft informierte, eine Lautsprecherdurchsage »Russland, Bahn frei« vernommen zu haben.
Der 65-jährige Beklagte, der bereits 220 Rennen reibungslos betreute, widersprach mehrmals Darstellungen von Zeugen. Es werde »viel gelogen«. Die Strafgerichte hatten den 65-Jährigen nicht allein für das Unglück verantwortlich gemacht, sondern auch nicht mitangeklagte Personen, gegen die die Ermittlungen vorab eingestellt worden waren. In zweiter Instanz endete das Verfahren gegen den Schönauer ohne Urteil und ohne Strafe. Er musste lediglich wegen »geringer Schuld« 20 000 Euro an Irina S. zahlen und deren Nebenklagekosten tragen.
Mehr als diese 20 000 Euro und die Kosten hat Irina S. bislang nicht erhalten. Die Versicherungen - der Weltverband hat eine Sportversicherung in London, der nationale Verband eine deutsche Versicherungsgruppe - leisteten keinerlei Zahlungen, lehnten auch einen von Vorsitzendem Richter Helmut Engelhardt angeregten Vergleich rigoros ab. Der 65-jährige Sportfunktionär steht ganz ohne Versicherungsschutz da: Dessen Haftpflichtversicherung komme nicht für Schadensereignisse aus ehrenamtlicher Tätigkeit auf, berichtete sein Anwalt, Hans-Jörg Schwarzer aus Berchtesgaden. Die beiden Verbandsversicherungen wollen auch nicht für den 65-Jährigen einspringen. Bei Auftakt des Zivilprozesses vor fünf Monaten hatte der Richter eine Haftung des 65-Jährigen und des BSD bejaht. Der BSD-Vertreter schob den »schwarzen Peter« weiter. Seine Versicherung sehe den FIBT in der Haftung. Das Taktieren nach dem Floriansprinzip setzte sich gestern fort. Das Gericht wird eine Entscheidung, wie der Prozess, weitergeht, am 23. Mai verkünden. kd