Kopfschütteln, offene Münder und fragende Blicke: Die Touristen am Königssee sind baff, als sie den Sarg auf der Straße sehen. Aber sobald der ein oder andere die Plakate durchgelesen hat, stimmt er den Geschäftsleuten zu. Eine ältere Dame sagt: »Das ist eine Schweinerei. So viele Leute kommen hierher und dann dürfen die nichts kaufen. Das geht doch nicht.«
Eine Familie aus der Nähe von Ingolstadt mit Eltern, zwei Kindern und Opa gesellt sich zu den Lesenden dazu und betrachtet das Werk der Geschäftsleute. Der Großvater klagt: »Ich bräuchte dringend einen Sonnenschutz am Kopf und jetzt kann ich mir hier keine Kappe kaufen.« Das ärgert beide Seiten.
Nur ortsbezogene Gegenstände
Constanze Zeitz betreibt einen Stand mit Souvenirs schräg gegenüber an der Seestraße. Nach den Vorgaben, die das Landratsamt den Ladenbetreibern gemacht hat, darf sie sonntags nur ortsbezogene Gegenstände verkaufen. Das bedeutet, sie müsste jeden Samstagabend ihre komplette Auslage umbauen, nur um dasselbe am Montag wieder zu machen. Stattdessen deckt sie einige Gegenstände mit Papier ab. »Die Leute interessieren sich aber auch für diese Sachen und schauen unter das Papier. Wenn ich ihnen sage, ich darf das nicht verkaufen, werden sie ungehalten. Ich bin auch schon beschimpft worden«, erzählt Zeitz, die gerade noch Marillenlikör aus Österreich aus einem Regal nimmt und hinten im Laden verräumt. Denn nur heimische Liköre dürfen über den Ladentisch gehen.
Warum aber kein Risiko eingehen? Was passiert, wenn die Ladenbesitzer doch etwas anderes als das vorgegebene Sortiment verkaufen: »Wir müssten in diesem Falle 1 000 Euro Strafe zahlen. Das Landratsamt kontrolliert den Verkauf, indem es Testkäufer losschickt«, weiß Zeitz.
Elke Neugebauer verkauft nebenan Ketten. Als sie draußen den samtbezogenen Kasten mit dem Schmuck aufstellt, ist sie schon schlecht gelaunt. Denn damit ist es nicht getan: »Damit ich die verkaufen darf, muss ich an jede verkaufte Kette ein Kreuz befestigen«, erzählt die Verkäuferin. Durch das Symbol wird die Kette zu einem ortsbezogenen Gegenstand – »keine Ahnung, vielleicht, weil wir hier im katholischen Bayern sind«, vermutet Neugebauer, deren Chef in Zwickau sitzt. Problematisch wird es aber, wenn Menschen mit einer anderen Religion eine Kette wollen: »Erklären sie das mal einem Moslem oder einem Buddhisten, dass sie die Kette nur mit Kreuz kriegen.«
Gesetz aus dem Jahr 1956
Woher diese teils albern wirkenden Vorgaben kommen, ist auf einem Plakat nachzulesen: »Die Bayerische Staatsregierung hält an einem Gesetz aus dem Jahr 1956 fest, obwohl sie es leicht ändern könnte«, heißt es da unter anderem. Damit ist das Ladenschlussgesetz gemeint. Darin steht genau festgeschrieben, welche Art von Artikeln sonntags verkauft werden dürfen, wie zum Beispiel »Zeitungen, Schnittblumen, Straßenkarten, Filme, Tonträger, Reiseandenken« und »Lebens- und Genussmittel in kleineren Mengen«. Laut Constanze Zeitz hat ein Mitarbeiter des Landratsamts das Sortiment jedes Ladens am Königssee inspiziert und genau bestimmt, was verkauft werden darf und was nicht. Dazu steht auf dem Plakat: »Die Ansprüche der Touristen haben sich geändert, Politiker wacht auf.«
Der öffentliche Druck wächst indes ohnehin weiter. Am Sonntag drehte ein Kameramann des Bayerischen Fernsehens, Frank Jordan, einen Beitrag für die Abendschau. »Ich habe von der Geschichte erfahren, als ich wegen des Schifffahrtstreiks am Königssee war«, erzählt Jordan. Gleichzeitig drehe eine Kollegin einen Beitrag zum Thema Sonntagsverkauf in Füssen.
Denn was die Ladenbesitzer extrem stört: Andernorts dürfen die Geschäfte offen bleiben. »Ausgerechnet hier, wo so viele Touristen herkommen, müssen die Läden zu bleiben«, sagt eine Urlauberin beim Vorbeigehen und schüttelt verständnislos den Kopf. Annabelle Voss