Basim Khalaf (18) hat die Initiative ergriffen, um auf seine Großfamilie hinzuweisen, für die sich in den vergangenen zwei Jahren Türen aufgetan haben, die sich die insgesamt neunköpfige Familie wohl selbst in kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Dahinter stecken aber auch viel Fleiß und Disziplin, die allen Familienangehörigen täglich abverlangt wird.
Seit gut zwei Jahren wohnen die fünf Geschwister Wisam (13), Lara (16), Basim (18), Bassam (20) und Fadya (21) mit ihrer Mutter Khalidah (45) auf 60 Quadratmetern in zwei Zimmern in der Chieminger Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, die von der Regierung von Oberbayern geführt wird. Seitdem sind »einige Wunder passiert«, wie Basim sagt: Das größte Wunder ist wohl, dass Vater Faris (47) mittlerweile aus der nordirakischen Ortschaft Khatare, im Kreis Ninawa nahe der Provinzhauptstadt Mossul gelegen, inzwischen auch bei der Familie ist. Er lebte zuletzt noch mit dem ältesten Bruder Firas (25) in der nordirakischen Heimat, und kam erst im März über Fluchtwege nach Chieming.
Bruder Fadi (22) war der Erste der Familie, der bereits 2014 nach Deutschland kam. Mittlerweile hat er die deutsche Staatsbürgerschaft, bestand die Gesellenprüfung als Werkzeugmechaniker und arbeitet bei einer Firma in Laufen. Er lebt in einer eigenen Mietwohnung in Traunstein.
Vier der fünf Geschwister, die in Chieming wohnen, nahmen in den vergangenen zwei Jahren schulisch enorme Entwicklungen.Wisam geht momentan in die siebte Klasse der Chieminger Mittelschule. Für ihn ist es noch verfrüht, auf eine weiterführende Schule zu wechseln, sagt sein älterer Bruder Basim. WährendLara in der Franz-von-Kohlbrenner-Mittelschule in Traunstein ihren Quali absolvierte, und mittlerweile eine Ausbildung in einer Chieminger Arztpraxis als medizinische Fachangestellte macht, besuchten Bassam und Fadya an der Kaufmännischen Berufsschule Traunstein die Berufsintegrationsvorklasse. Bassam stellte sich dabei sehr schnell als »Überflieger« der Integrationsklasse heraus. Nachdem er in keiner Mittelschule des Landkreises Traunstein im M-Zweig aufgenommen wurde, weil er mit 18 als zu alt angesehen wurde, um die Mittlere Reife zu absolvieren, gelang ihm dies aber letztlich an der Franziska-Hager-Mittelschule in Prien. Der dortige Schulleiter Marcus Hübl nahm ihn auf. Er schaffte auf Anhieb die Mittlere Reife, und konnte damit in die Einführungsklasse des Chiemgau-Gymnasiums (CHG) in die 10. Jahrgangsstufe nach Traunstein wechseln, die er ebenfalls bestand. Nun bereitet er sich in der 11. Oberstufenklasse allmählich auf das Abitur vor, nach wie vor mit dem Berufswunsch, Arzt zu werden.
Fadya hat zwei Jahre lang die Integrationsklassen der Kaufmännischen Berufsschule in Traunstein besucht, im September hat sie eine Lehrstelle bei einem Traunsteiner Augenarzt angetreten, und besucht wie ihre Schwester die Berufsschule im Fachbereich Medizinische Fachangestellte. Basim eiferte seinem Bruder Bassam nach, und schloss ebenfalls in Prien mit der Mittleren Reife ab. Nun besucht auch er am CHG die Einführungsklasse, mit dem Ziel, nach dem Abitur ein Ingenieurstudium anzutreten oder eventuell Pilot zu werden.
»Genaue Pläne sind jetzt noch verfrüht, ich muss jetzt erst einmal schauen, dass ich die Einführungsklasse gut bestehe«, sagt er nüchtern. Inzwischen lernt er »als spät beginnende Fremdsprache« Italienisch, das ist neben seiner Muttersprache Kurdisch, seiner Heimatsprache Arabisch, sowie Schulkenntnissen in Englisch und Deutsch sowie den dazugelernten Sprachen Türkisch und Persisch inzwischen die siebte Sprache, die der 18-Jährige lernt. Auf die Frage, ob er einen Wunsch habe, der ihm erfüllt werden könnte, sagt Basim: »Es gibt zwei Wünsche, die ich hätte. Einen leicht und einen weniger leicht erfüllbaren. Zum einen suche ich einen Nebenjob auf Minijob-Basis, der mich in meiner Entwicklung und Persönlichkeit weiterbringt. Am besten wäre ein Job, den ich am Wochenende in der Nacht ausführen könnte. Sehr gerne würde ich in einer Tankstelle, in einem Restaurant oder im Kino arbeiten.«
Und dann wäre es wichtig, dass alle in unserer Familie endlich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, betont er. »Meine Mutter hat sie schon, aber mein Vater und Fadya haben nur eine Duldung, Bassam nicht einmal diese, und wir drei Jüngsten warten seit drei Jahren auf das Ergebnis des BAMF-Interviews.« Und er fährt fort: »Solange wir keine Aufenthaltsgenehmigung haben, können wir uns keine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt mieten. Das ist wirklich manchmal hart, dass wir auf so engem Raum zusammenwohnen, und es in der Gemeinschaftsunterkunft manchmal von den Nachbarn her so laut ist, dass wir beim Lernen gestört werden. Da sollte sich hoffentlich bald etwas ändern.«
Basim hat kein eigenes Schlafzimmer, er schläft auf dem Boden im Wohnzimmer, zu dem auch eine Kochnische gehört. Stolz ist er, dass er vor kurzem innerhalb von drei Monaten den Führerschein gemacht und auf Anhieb bestanden hat. »Die Theorieprüfung konnte ich auf Arabisch machen, das war dann kein großes Problem.« Und schließlich kommt noch kurz Basims Vater zum Gespräch dazu, er macht gerade einen Deutschkurs bei der VHS im Haus des Gastes in Chieming, gemeinsam mit den Flüchtlingen aus der Ukraine. Die Frage, wie er sich seine Zukunft in Deutschland vorstellt, übersetzt Basim: »Mein Vater würde gerne wieder als Sportlehrer arbeiten, wie in unserer kurdischen Heimat, da unterrichtete er am Gymnasium neben Sport noch Informatik und Jesidische Religion.« – »Wir müssen schauen, was möglich wird.« Auf die Frage, ob die Familie wieder in den Irak zurückkehren möchte, sagt Basim: »Das ist eigentlich vorbei. Ich möchte mir hier in Deutschland eine Zukunft aufbauen. Ich möchte die Chancen, die ich hier habe, nutzen. In die Heimat zurück zu gehen, macht keinen Sinn. Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass ich das Gymnasium und das Abitur möglichst gut schaffe, dann kommen die nächsten Schritte.«
Arno Zandl
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