Stefan Lauter berichtete uns, dass er mit 13 Jahren ein Mädchen kennengelernt hatte: Sie war überzeugte Christin und nahm ihn zu diversen kirchlichen Veranstaltungen mit, auf denen über viele Dinge diskutiert und auch der DDR gegenüber kritische Meinungen geäußert wurden. Schnell stand für ihn fest, dass er auf keinen Fall mehr Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ), einem sozialistischen Jugendverband, sein möchte.
Auf einer offiziellen Schulveranstaltung, im Beisein von SED-Vertretern und Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit, erklärte er seinen Austritt aus der FDJ und wurde daraufhin als Staatsfeind angesehen.
Sein Notendurchschnitt sank drastisch und auch seine Mutter distanzierte sich von ihm. Als er von zu Hause flüchtete und rebellierte, wo er nur konnte, wurde er schließlich mit 17 Jahren durch das Jugendamt Ostberlin zur Umerziehung in eine »vollwertige sozialistische Persönlichkeit« in den Jugendwerkhof Freital gebracht. Dort wurde er aufgefordert durch seine Unterschrift wieder in die FDJ einzutreten, doch dies beantwortete er mit einem lächelnden »Nö!«.
Es herrschten strenge Regeln in seinem neuen »Zuhause«. Morgens wurde er um 6 Uhr geweckt, erst um 23 Uhr war wieder Bettruhe. In dieser Zeit musste er arbeiten: Er durfte aber seine angefangene Lehre als Zerspanungstechniker nicht fortführen und wurde stattdessen im Edelstahlwerk Freital als Hilfsarbeiter ausgebeutet.
Als Stefan Lauter anfing, die Erziehungsmaßnahmen abzulehnen, seine Erzieher provokant zu duzen und eines Abends sogar aus der Anstalt flüchtete, um bei seinem Jugendamt in Berlin auszusagen, wurde er in den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen. Dort angekommen sah er die meterhohen Mauern und das unüberwindbare Eingangstor, das den Unterschied zum offenen Jungendwerkhof noch deutlicher zu machen schien.
Drinnen angekommen musste er stundenlang im Eingangsbereich warten. Er durfte sich weder anlehnen, noch hinsetzen oder hinlegen. Als er einen vorbeigehenden Erzieher fragte, wie lange er hier denn noch warten müsste, schlug ihm dieser einen sehr schweren Schlüsselbund »in die Fresse« und schrie ihn an, dass nur er hier die Fragen stelle. Am Abend wurde er in die dort üblichen Häftlingsklamotten gesteckt und in seine Zelle gebracht.
Die wesentliche Absicht der Jugendwerkhöfe war es, unter Anwendung von Gewalt, die Häftlinge in »sozialistische Persönlichkeiten« zu verwandeln. Wenn dies nicht freiwillig geschah, wurde alles versucht, um ihren Willen zu brechen und sie durch Erniedrigung gefügig zu machen.
Im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau war die Gewaltbereitschaft der Erzieher noch höher als in offenen Anstalten. Die Insassen wurden bei Fehlverhalten in Isolations- oder Arrestzellen gesteckt, schikaniert, geprügelt und gegeneinander aufgehetzt.
Trotzdem konnten sie Stefan Lauters Meinung über den Staat nicht umkippen, die Abneigung verwandelte sich nur in blanken Hass und Wut. Als er an seinem 18. Geburtstag aus der Haft entlassen wurde, war er ein gebrochener junger Mann, der sowohl physische als auch psychische Folter über sich ergehen lassen musste und am Ende seines Aufenthalts nicht einmal zu seiner Mutter zurückkehren konnte. Sie hatte sich von ihm distanziert, da ihr Sohn als Staatsfeind eine Schande für sie darstellte.