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Das Abenteuer begann mit einer langen Schiffsreise: Hansl Richter (von links), Hans Wimmer und Werner Karl.
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Ankunft in der Cordillera Apolobamba: Auf dem Rücken struppiger lndianerpferde brachte man das Gepäck ins Basislager unterhalb des Paso Osipal.

Neun Erstbesteigungen und eine Erstüberschreitung

Genau 60 Jahre sind vergangen, seit die Berchtesgadener Hans Richter (verstorben 2014) und Hans Wimmer (verstorben 1995) sowie der Rosenheimer Werner Karl (verstorben 2012) an der international viel beachteten Andenkundfahrt der Alpenvereinssektion Berchtesgaden nach Bolivien, Peru und Ecuador teilnahmen. In der Cordillera Apolobamba und in der Cordillera Real vollbrachten sie im Jahr 1957 gleich mehrere bergsteigerische Glanzstücke. So kehrte das Trio nach seiner von Juni bis Oktober dauernden Reise mit neun Erstbesteigungen, einer Erstüberschreitung, einer Zweitbesteigung und der Besteigung von zwei weiteren Gipfeln in seine Heimat zurück. Von den zwölf bestiegenen Gipfeln über 5400 Meter waren vier über 6000 Meter hoch.


Die Gesamtkosten sollten sich auf 31 000 Mark belaufen, die zum größten Teil von der DAV-Sektion Berchtesgaden (über 17 000 DM) getragen werden würde. Aus Vorträgen und Spenden kamen 1200 Mark, 4000 Mark wurden vom Hauptverein des DAV bewilligt. Sogar die Jungmannschaft hat ihre Einnahmen aus Trägerlöhnen für die Hüttenbewirtschaftung des Kehlsteinhauses aus den Jahren 1953 bis 1956 von fast 7700 Mark eingebracht. Dass Werner Karl Leiter der Expedition wurde, lag an Erhard Sommer, dem damaligen Leiter der Jungmannschaft Berchtesgaden. Der konnte aus beruflichen Gründen nicht verreisen und schlug deshalb den Rosenheimer als Verantwortlichen vor.

13-tägige Schiffsreise nach Aruba

Am 27. Mai sollte es losgehen. Am Abend zuvor fand die Verabschiedung durch die Sektion im Gasthof Schießstätte statt. Der Vorsitzende (und damalige Verleger des Berchtesgadener Anzeigers) Ludwig P. Miller richtete letzte persönliche Worte an die beiden Hansln. Tags darauf ging es mit dem VW-Käfer nach München und von dort mit dem Zug nach Hamburg. Es folgt eine 13-tägige Schiffsreise nach Aruba sowie die erste Erfahrung eines Fluges über Panama nach Lima. Zwei Wochen später folgte die noch abenteuerlichere 2000 Kilometer lange Busreise über Arequipa und den Titicacasee nach La Paz, wo man am 27. Juni eintraf.

Schon am Vormittag ist der Berchtesgadener Karl Sommer, der jahrzehntelang als Seelsorger in Bolivien lebte, gekommen. Es folgten Einladungen und Termine bei der deutschen Botschaft, bei Zoll und Ärzten sowie Empfänge. Am 9. Juli, sechs Wochen nach der Abreise, konnte man endlich aufbrechen. Die 80 Kilometer lange Cordillera Apolobamba liegt etwa 100 Kilometer nordöstlich des Titicacasees. Auf einer Höhe von rund 4600 Meter befindet sich der nur sechs Einwohner zählende Ort Ulla Ulla, über den man mithilfe von Indianerpferden das Basislager erreichte.

Am 13. Juli überschritt das bayerische Trio schon gleich den 5500 Meter hohen Levisivita. Zwei Tage später erkundeten Hans Richter und Hans Wimmer den Zugang zum Cololo, machten einen Lagerplatz für das Hochlager ausfindig und bestiegen einen 5450 Meter hohen Berg, den sie Cerro Posnansky nannten.

Am 22. Juli hatten die drei unterhalb des  Cerro Posnansky ein Hochlager zur Besteigung des 5915 Meter hohen Cololo errichtet. Der Gipfelaufbau des formschönsten Berges der Apolobamba lag vor ihnen. Ein gewaltiges, parallel zum Südostgrat herabziehendes Couloir benutzten sie zum Anstieg, wichen aber schließlich vor dem riesigen Eisabbruch nach links in die Felsen aus und gelangten über einen Eiswulst zum letzten Gipfelaufschwung.

Da der Südostgrat wegen eines Schrundes von unten nicht zu begehen war, wandten sie sich dem Südwestgrat zu. Dort erwartete sie blankes Eis und mithilfe mehrerer Eishaken kamen sie etwa 100 Meter höher, bis ein Eisüberhang den Weiterweg versperrte. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die überaus steile, eis- und felsdurchsetzte Nordwand hinauszuqueren. Auf einer Firnrippe erreichten sie um 17.30 Uhr den schmalen, stark überwechteten Gipfel, wo sie die Flagge Boliviens hissten.

Mehr als abenteuerlich war Tage später die Besteigung des höchsten Berges der Apolobamba, des 6040 Meter hohen Caupi Orco. Zuvor hatte man tagelang in versteckten und versumpften Hochtälern den Zugang zum Berg gesucht. Dabei waren sie nur unter Aufbietung der letzten Kräfte langsam vorwärts gekommen. Einmal brachen die Pferde bis zum Bauch in den Sumpf ein. Sie mussten sie entladen, herausziehen, auf halbwegs sicheres Gelände bringen, die Zitternden beruhigen und von Neuem beladen. Der Berg sollte ihnen die größte Energieleistung während der ganzen Expedition abfordern.

Auf die Gipfel des Cerro Nubi (5710 Meter) und des Huanacuni (5798 Meter) hatte es das Trio zum Abschluss seines Aufenthalts in der Cordillera Apolobamba abgesehen. Dem Huanacuni ist südlich der von ihnen so benannte Cerro Nubi vorgelagert. Über seine Westwand stiegen die drei Bayern am 6. August zum Gipfel auf. Die Freunde vom Club Andino Boliviano, die das Trio den Tag über mit Ferngläsern beobachtet hatten, beglückwünschten sie nach der Rückkehr. Das Hochlager wurde abgebaut und am 11. August kehrten alle nach La Paz zurück.

Der lllimani in der Cordillera Real

Am 23. August fuhren Richter, Wimmer und Karl mit den zwei bewährten Trägern Pasquale und Venanzio auf einer Minenstraße die 90 Kilometer bis zum Fuß des gewaltigen Illimani in der Cordillera Real und errichteten auf 4500 Meter das Basislager. Am nächsten Tag gingen sie mit beiden Trägern die schon von La Paz aus auffallende felsige Mittelrippe hinauf und stellten das Hochzelt auf etwa 5600 Meter auf. Am 25. August überschritten sie am selben Tag alle drei Hauptgipfel des lllimani: Pico del Norte (6480 Meter), Pico Paris (6350 Meter) und Pico del Sud (6449 Meter).

Der sehr schwierige Nordgrat des Mittelgipfels wurde dabei zum ersten Mal begangen. Um 19 Uhr, nach Einbruch der Tropennacht, standen sie auf dem Südgipfel, schnitten einen Streifen der anlässlich der 15. Besteigung gehissten Flagge ab und stiegen im Sternenlicht über die Westflanke zum Hochlager ab, das sie 13 Stunden nach dem Aufbruch wieder erreichten. Nach einer schlaflosen Nacht brachen sie das Lager ab und kehrten in das Basislager zurück. Noch am selben Abend fuhren sie nach La Paz, wo sie um Mitternacht ankamen.

Nach einer langen Reihe von Einladungen und Abschiedsfeiern fuhren Richter, Wimmer und Karl Ende August mit Omnibus und Eisenbahn nach Cusco, besichtigten die Festungsanlagen Sacsayhuaman und Macchu Picchu, wo sie völlig alleine auf dem hochgelegenen Kultplatz die Nacht im Zelt verbringen konnten. Vom 9. bis 11. September hielt man sich weiterhin in Lima auf, um wieder Einkäufe, Erledigungen und einen Pressetermin bei »La Prensa« zu absolvieren. Dann schlug in Südamerika die »asiatische Grippe« zu und zwang die beiden »Hansln« erstmal ins Bett.

Am 24. September ging es weiter zum 5896 Meter hohen Vulkan Cotopaxi in Ecuador. Zunächst kamen die Bergsteiger rasch höher, aber in etwa 5600 Meter Höhe verwandelte sich die bis dahin gut tragende, glatte Schneedecke in ein riesiges, schwer begehbares »Büßerschneefeld«. Der Hang war teilweise über 40 Grad steil und schließlich hatten die umgekehrten Eiszapfen Mannesgröße erreicht. Ein mühsames Hinaufwinden begann.

Zuletzt wuchsen die aufrecht stehenden Eiszapfen über die Köpfe der drei Männer hinaus, der einbrechende Nebel vermischte sich mit dem aus zahlreichen Spalten aufsteigenden Schwefeldampf. Wäre es nicht ihr letzter Berg und der höchste aktive Vulkan der Welt gewesen, sie wären umgekehrt. Doch schließlich standen alle drei auf dem Gipfel, unter ihnen der riesige, rauchende Krater.

Die Kundfahrt war nach rund dreimonatigem Aufenthalt in Südamerika vorbei. Am 29. September ging es in Guayaquil am Pazifischen Ozean an Bord der »Perseus«. Das Schiff nahm seinen Kurs durch den Panama-Kanal zurück nach Hamburg, wo es am 16. Oktober ankam.

Zurück am geliebten Watzmann

Der Abschluss der Reise soll Hans Richter gehören, der in einem Eintrag vom 29. September 1957 ausführte: »Ich freu mich, zurückzukommen nach Deutschland, in meine Heimat, zu unseren Bergen. Seien Bolivien, Peru und Ecuador noch so weit und noch so abwechslungsreich, haben sie auch noch so hohe Vulkane und Gebirge – sie könnten Berchtesgaden mit seinem niederen Watzmann nie ersetzen.«

Umso glücklicher waren Hansl Richter und seine Freunde, als sie am 16. Oktober am späten Nachmittag wieder in Berchtesgaden eintrafen. Für Aufregung sorgte dann noch ein Mitbringsel der Kundfahrer: ein Riesenblasrohr südamerikanischer Kopfjäger. Wie man also sah, hatten die Eingeborenen den Berchtesgadenern rein gar nichts getan. Thomas Maltan