Am Feuerhörndl auf »Wolke 7«

Schon bei der Vollendung ihrer schwierigen Erstbegehung im Jahr 2020 am Feuerhörndl schwebten Ines Papert und Luka Lindic auf »Wolke 7«. Schließlich hatten sie an den steilen Nordabstürzen der Reiteralm mit ihrer spektakulären Linie nicht nur einen weiteren Meilenstein in Sachen Extremklettern gesetzt. Vielmehr gehen die Bayerisch Gmainerin und ihr slowenischer Partner seit jenem Sommer auch abseits der Kletterei als Seilschaft durchs Leben. Dass Ines jetzt zwei Jahre später erneut das »Wolke 7«-Gefühl verspürt, hat einen Grund: Sie konnte die anspruchsvolle Route im Schwierigkeitsgrad 8a (9+/10-) nun ebenfalls frei durchsteigen.


Die Geschichte beginnt im Corona-Jahr 2020, als der Lockdown Ines und Luka die Augen öffnete. Die Enttäuschung über eine abgesagte Alaska-Expedition noch im Kopf, entdeckten sie das ungeheure Kletterpotenzial in ihrer Heimat neu. An einer der schwierigsten Wände der Alpen, wo die Huberbaum mit ihren Linien bereits Geschichte geschrieben hatten, wollten sie eine Route im Stil der Nachbarlinien einrichten: Fordernd, aber für Kletterer mit sehr viel Erfahrung vernünftig abzusichern.

Nach vier Tagen war das Werk vollbracht. die beiden kamen auf 350 Metern Wandhöhe mit insgesamt 17 Zwischenbohrhaken aus, allerdings ermöglichen zahlreiche Risse das Legen von mobilen Sicherungen. Versöhnt mit der Situation der eingeschränkten Reisefreiheit und zufrieden mit der kreierten Linie in den Steilwänden der Reiteralm, hatten Ines und Luka im Sommer den Kopf frei, um andere wichtige Dinge zu erledigen. So gab man sich unter den Felsen der Reiteralm das Ja-Wort und hatte dann auch gleich einen Namen für die neue Route gefunden: »Wolke 7«.

Nachdem Luka Lindic die Route im Schwierigkeitsgrad 8a (9+/10-) dann ziemlich schnell frei durchsteigen konnte, sollte sich das Projekt bei Ines noch eine Weile hinziehen. Vor allem die anhaltende Nässe machte ihr zu schaffen, was zwischenzeitlich für zunehmende Frustration sorgte. Immer wieder scheiterte sie in der 5. Seillänge, Ines konnte keine Lösung für die Bewältigung dieses schwierigen Abschnitts finden.

Nachdem Ines zeitweise schon ans Aufgeben gedacht hatte, widmete sie sich im Jahrhundertsommer 2022 noch einmal mit vollem Einsatz dem Projekt. Zwei intensive Wochen verbrachte sie in der Route, meistens alleine mit Selbstsicherung, aber auch in Begleitung ihres Ehemanns Luka oder ihres Sohnes Emanuel.

Dann kam der 14. August 2022. Wegen des nahenden Herbstes und des angekündigten Dauerregens wusste Ines, dass es für dieses Jahr ihre letzte Chance sein würde. Nachdem sie mit Luka frühmorgens in die Route eingestiegen war, improvisierte und kämpfte sie wenig später unter Lukas Anfeuerung in der fünften Seillänge. »Meine Unterarme waren kurz vor dem Zerreißen. Plötzlich hatte ich die Schlüsselstelle hinter mir und den Standplatz erreicht«, erinnert sich die Bayerisch Gmainerin. Erstmals waren alle Griffe und Tritte trocken. Ines jubelte, aber im gleichen Moment wurde ihr klar, dass noch ein langer Weg bis zum Gipfel vor ihr lag.

In einem strukturlosen Wandabschnitt, den Ines für den schwierigsten der gesamten Wand hält, wartete ein extrem weiter Zug auf sie. »Ich scheiterte, stürzte ins Seil«, beschreibt sie die Situation, in der sie für einen Moment den Glauben an sich verlor. Zurück am Standplatz, nahm ihr Mann sie in die Arme und sprach ihr neuen Mut zu. Als sich »Wolke 7« vor die Sonne schob, startete Ines erneut. »Ich konnte plötzlich einen zusätzlichen, kaum sichtbaren Griff halten und schaffte es ganz knapp«, erinnert sie sich. Das Restprogramm, unter anderem ein Dach im Schwierigkeitsgrad 7c (9), war nur noch eine Fleißaufgabe. Und so erfüllte sich für Ines Papert am Nachmittag des 14. August ein Traum: Sie hatte »Wolke 7« zwei Jahre nach ihrem Mann Luka Lindic ebenfalls in freier Kletterei durchstiegen. Nun kann sie stets zufrieden zu den steilen Abbrüchen der Reiteralm hinaufschauen.

Ulli Kastner