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Wer im hochalpinen Gelände unterwegs ist, bewegt sich auch auf Gletschern. Ein Spaltensturz ist da jederzeit möglich. Die Bergwacht übt solche Szenarien regelmäßig.

»Als Bergwachtler ist man immer im Dienst«

Die Berge sind sein zweites Zuhause: Dr. Wolfgang Schaffert aus Siegsdorf kennt die heimischen Alpen aus dem Effeff, aber er stand auch schon auf den höchsten Bergen der Welt. Der pensionierte Hausarzt begleitete in den 1970er-Jahren als Mediziner auch Expeditionen. 1977 war er etwa am Lhotse in Nepal und 1980 am Shishapangma in Tibet.


Auch heute noch ist der renommierte Höhenmediziner an Studien beteiligt und lehrt die jungen Ärzte, was bei einem Unfall in den Bergen getan werden muss. Die Qualifikationshürden für die Mediziner sind hoch. Bis sie sich Bergwacht-Notarzt nennen dürfen, müssen sie etwa erst einmal die komplette Bergwacht-Ausbildung samt den Tests und den Prüfungen bestehen.

Dr. Wolfgang Schaffert hat das alles längst gemeistert. Seit über 30 Jahren ist der Mediziner schon bei der Bergwacht dabei. Der jetzt 72-Jährige hat bisher keinen einzigen Tag davon bereut. Das Amt des Bergwacht-Notarzts bei der Bereitschaft Traunstein hat er mittlerweile zwar in jüngere Hände – und zwar an Dr. Markus Langer – übergeben, im Einsatz ist der Siegsdorfer aber weiterhin Tag und Nacht. Und auch sein umfangreiches Wissen gibt er nach wie vor gerne an die jüngere Generation weiter.

Auch bei der Bergwacht bildet er die ehrenamtlichen Einsatzkräfte weiter aus – und die Ansprüche an sie sind enorm: »Die Bergwacht wird selten gebraucht, nur wenn sie alarmiert wird, dann soll sie alles können«, bringt der Mediziner das breite Aufgabenspektrum der Rettungsorganisation auf den Punkt. »Und als Bergwachtler ist man immer im Dienst«, ergänzt er.

Trotz dieser hohen Anforderungen gibt es immer wieder genügend motivierte Leute, die sich der Herausforderung stellen. Dr. Wolfgang Schaffert zeigt sich von diesem Engagement begeistert. »Unsere Aufgabe ist es, die Jungen zu motivieren, gut auszubilden und auch zu fördern.« Die Ausbildung bei der Bergwacht sei hervorragend, hebt er hervor. »Gerade auch das Ausbildungszentrum in Bad Tölz findet weltweit Beachtung«, freut er sich. »Viele andere Länder beneiden uns um unsere gute Struktur bei der Bergwacht.«

Eines der Geheimrezepte der Rettungsorganisation ist, dass sich Gleichgesinnte, die die Berge lieben, dort zusammenfinden – und eben überaus starke Teams in den jeweiligen Regionen bilden. »Und zwar ganz egal, ob man Akademiker oder ein einfacher Arbeiter ist.«

Denn eines ist immer gleich: Die Bergretter riskieren bei den Einsätzen oft ihr eigenes Leben. »Ein Bergwachtler muss zu jeder Zeit schnell Entscheidungen treffen können«, sagt Dr. Schaffert. Es brauche oft auch Mut, um bei Einsätzen im Gelände rasch improvisieren zu können. »Jeder muss wissen, was zu tun ist, denn sonst könnte es für den Patienten unter Umständen schlimme Folgen haben«, betont er. »Und oft müssen wir Bergretter dabei auch bis an unsere Grenzen gehen.« Allerdings betont er auch: »Das Wertvollste, das man hat, ist sein eigenes Leben. Wenn man nicht mehr helfen kann, muss man auch schauen, dass man so schnell wie möglich wieder raus aus der Gefahrenzone kommt.«

Der Arzt hat viele solcher brenzligen Einsätze in seiner langjährigen Amtszeit erlebt. Ein paar sind ihm besonders in Erinnerung geblieben – positive wie negative Erfahrungen. Er musste etwa bei einer privaten Tour aufs Kammerlinghorn mitansehen, wie zwei Skitourengeher am Blaueis von einer Lawine verschüttet wurden und dabei ums Leben kamen. Dr. Schaffert konnte bei diesem Unglück nur sofort den Notruf absetzen, ansonsten waren ihm aber die Hände gebunden, schließlich saß er auf einem anderen Berggipfel. In solchen Momenten müsse man sich als Retter bewusst machen, dass man nicht helfen kann, sagt er.

Eine andere Extremsituation ist am Ende dafür gut ausgegangen. Als er eines Tages vom Wandern gerade nach Hause gekommen ist, ging der Notruf. Am Watzmann wurden vier Kletterer vermisst. Dr. Schaffert überlegte nicht lange, zog sich schnell um und in Siegsdorf wartete schon der Hubschrauber auf ihn. Er war guter Dinge, dass die Rettung gelingen würde – trotz eines aufziehenden Gewitters.

Die Retter fanden die Kletterer dank eines Lichtsignals schließlich in der Ostwand, Dr. Schaffert ließ sich trotz Sturmböen zu ihnen abseilen – allein das war schon ein extrem gefährliches Unterfangen. Als der Arzt bei den teilweise verletzten Kletterern war, machte er ihnen Mut, dass die Rettung nun schnell gehen würde. Doch daraus wurde nichts: Das Wetter war zu schlecht. Der Arzt und die Kletterer mussten drei Tage und zwei Nächte in der Watzmann-Ostwand ausharren, ehe der Hubschrauber sie unter weiter extrem schwierigen Bedingungen bergen konnte. Für seine Rettungstat wurde der Siegsdorfer mit der Leistungsauszeichnung in Silber der Bergwacht Bayern ausgezeichnet.

Dr. Wolfgang Schaffert geht es allerdings nicht um irgendwelche Ehrungen. Er will vielmehr erreichen, dass sich mehr und mehr Menschen ehrenamtlich engagieren – und zwar egal ob am Berg oder im Tal. Bei einer Wiederbelebung komme es etwa vor allem darauf an, dass man schnell handelt. »Die organisierten Rettungskräfte kommen in so einem Fall einfach oft zu spät«, sagt der Familienvater. Auch in den Bergen sind 30 Prozent der Einsätze internistischer Natur. »Gerade in der Corona-Zeit gehen viele in die Berge, die das bislang nicht gemacht haben.« Schon bei einem kleinen Anstieg können die unerfahrenen Wanderer Herz-Kreislauf-Probleme bekommen. »Auch deshalb ist es so wichtig, dass sich Laien in Sachen Wiederbelebung schulen und ausbilden lassen.«

Auch im Winter kommt es bei einem Lawinenabgang und einer anschließenden Verschüttetensuche auf die Schnelligkeit an. »Es überleben meist nur die, die von den Kameraden gefunden werden.« Über die Jahre hat sich in der Rettung aber auch einiges getan. Die Technik etwa hat sich stetig weiterentwickelt – und hilft den Rettern enorm. »Die Drohne etwa ist goldwert bei einer Vermisstensuche«, berichtet der Arzt. Die guten technischen Möglichkeiten und die Ausrüstung der Bergwacht werden aber nicht nur bei den Einsätzen in den Bergen geschätzt – auch bei diversen Hochwasser-Ereignissen sind die Retter immer wieder im Einsatz. »Oder auch beim Zugunglück in Bad Aibling wurde auf unser Können gesetzt«, betont Dr. Schaffert, der die Zusammenarbeit mit den anderen Hilfsorganisationen ausdrücklich lobt.

Neben den Einsätzen ist Dr. Wolfgang Schaffert auch besonders wichtig, dass sich die Bergwacht für den Naturschutz einsetzt. Er sieht ihre Aufgabe auch darin, dass man die Berge vor den Menschen schützen muss. Ihn stört es etwa, wenn Wanderer oder Bergsteiger seltene Blumenarten pflücken. Dr. Schaffert macht auch das Waldsterben Sorgen. Bei den vielen Hubschrauberflügen hat er oft einen Blick auf die Baumkronen und sieht die enormen Schäden. Ein Einsatz für den Naturschutz lohnt sich seiner Meinung nach immer. »Das ist eine ganz wichtige Investition – und zwar für uns alle«, betont er.

Ans Aufhören denkt Dr. Wolfgang Schaffert, der einmal im Monat für eine Woche auch noch als Notarzt im Einsatz ist, übrigens noch lange nicht. »Ich versuche aber gerade, etwas loszulassen«, sagt er. »Und ich bin sehr dankbar, dass ich auf so viele gute Jahre zurückblicken darf.« Er will aber, »solange weitermachen, wie ich kann. Es hält mich auch jung und fit«.

Apropos jung: Bei der Bergwacht Traunstein schätzt er vor allem, dass ein junges und motiviertes Team an Bergrettern heranwächst und nach und nach in die Fußstapfen der Älteren tritt. »Da hat unsere Bereitschaftsleiterin Claudia Bork gute Arbeit geleistet«, freut er sich. Für die Anwärter hat Dr. Wolfgang Schaffert auch immer gern ein offenes Ohr und beantwortet ihre Fragen. Denn er weiß: »Die Bergwacht ist ein Bund fürs Leben.« SB

 

Die Bergwacht Bayern bewältigt pro Jahr rund 8500 Rettungseinsätze. Insgesamt sind 113 Bergwacht Bereitschaften in den bayerischen Alpen aktiv. Wir stellen die ehrenamtliche Arbeit der Bergwachtmänner und -frauen in den nächsten Wochen in einer Serie vor. Stellvertretend für die Bereitschaften in der Bergwacht-Region Chiemgau (Altötting, Berchtesgaden, Bergen, Bad Reichenhall Freilassing, Grassau, Inzell, Marktschellenberg, Marquartstein, Ramsau, Reit im Winkl, Ruhpolding, Schleching, Teisendorf/Anger und Traunstein) haben wir mit einigen Aktiven der Bergwacht Traunstein über ihre vielseitige Arbeit gesprochen.