Jahrgang 2013 Nummer 3

Zwei erfolgreiche Dichter von Kirchenliedern

Eine Erinnerung an Georg und Maria Luise Thurmair

Das Dichterehepaar – Aufnahme aus den sechziger Jahren.

Sie sind die Spitzenreiter unter den Textdichtern im kirchlichen Gesangbuch »Gotteslob«: Georg und Maria Luise Thurmair. Es vergeht kein Sonntag, dass beim Gottesdienst in Deutschland oder in Österreich nicht ein Lied des Dichterehepaares gesungen wird, ebenso an den großen Festen des Kirchenjahres. Von Georg Thurmair stammen 16 Gotteslob-Texte, von seiner Frau sogar 38 Texte. Die Spitzen- Titel sind »Nun singe Lob, du Christenheit«, »Gott ist dreifaltig einer«, »Nun Brüder sind wir frohgemut«, und »Wir sind nur Gast auf Erden«.

Georg und Maria Thurmair haben sich ein Leben lang im Dienst der Kirche engagiert, Georg als Redakteur verschiedener Zeitungen, Bildungsreferent und Buchautor, Maria Luise Thurmair als Jugendführerin, Vortragsreisende und Herausgeberin. Sie waren 43 Jahre verheiratet und hatten sechs Kinder. Georg starb im Jahre 1985, seine Frau überlebte ihn um 20 Jahre. Kardinal Lehmann nannte das Dichterpaar »Diener am liturgischen Gesang«, deren geistliche Dichtungen die Zeit überdauern werden.

Georg Thurmair war nach seinen eigenen Worten »ein alter Haudegen gegen politische und kirchliche Missstände, gegen Krieg, soziale Ungerechtigkeit und alle sonstigen menschenunwürdigen Dinge.« Er schrieb mutige Verse gegen die Nationalsozialisten, als sie die kirchliche Jugendarbeit immer mehr erschwerten und schließlich ganz unmöglich machten. Unvergessen bleiben die Zeilen, mit denen er die jungen Menschen zum inneren Widerstand gegen die Nazis aufrief: »Nun rollt die Fahnen um den Schaft / und geht wie stumme Boten. / Die Macht ist über unsere Kraft, / die Macht hat es geboten. / Wir wollen Deutschland und wir mahnen/ das Volk an seine Kraft. / Nun sind Gesichter unsere Fahnen / und Leiber unser Schaft.«

Für die damaligen Menschen waren Thurmairs Anspielungen auf den kirchenfeindlichen Kurs der Nazis unüberhörbar. In seinen Kampf- und Bekenntnisliedern forderte er dazu auf, der Kirche die Treue zu halten und dem Ungeist der neuen Machthaber zu widerstehen. Schon ihre Titel sind vielsagend: »Der Satan löscht die Lichter aus«, »Unsere Fahne ist die Treue«, »Das Banner ist dem Herrn geweiht«, »Auf bleibet treu und haltet fest«, »Uns rufet die Stunde, uns dränget die Zeit«. Besonders eindrucksvoll ist das Lied »Wir stehn im Kampfe und im Streit« , dessen dritte Strophe von den Jugendlichen heimlich die »Goebbelsstrophe« genannt wurde, weil sie genau auf den Propagandaminister (»Reichslügenmaul«) passte. Thurmair schreibt:

Die Lüge ist gar frech und schreit
und hat ein Maul, so höllenweit
die Wahrheit zu verschlingen.

Jeder wusste damals, wer mit dem Lügenmaul gemeint war. Das Lied brachte dem Dichter Verhör bei der Gestapo ein, weil aber kein Name genannt war, kam es zu keinem Verfahren.

Das Talent des in München geborenen Georg Thurmair war vom Generalsekretär des Katholischen Jungmännerverbandes Prälat Ludwig Wolker entdeckt worden. Er holte den damals Siebzehnjährigen nach Düsseldorf ins Jugendhaus, machte ihn zu seinem Sekretär und Pressereferenten und ermöglichte ihm den Besuch des Abendgymnasiums. Thurmair war Schriftleiter der Jungenzeitschrift »Wacht« und gründete die Wochenzeitung »Junge Front«, die auf Befehl der Nazis in »Michael« umbenannt und 1936 ganz verboten wurde. Sie war den Nazis zu gefährlich geworden, weil sie ihre Weltanschauung als pures Heidentum entlarvt und mit christlichen Prinzipien als unvereinbar erklärt hatte. Georg Thurmair war auch Mitherausgeber der Liedersammlung »Kirchenlied«, dem Vorläufer des »Gotteslobs«, in dessen Stammteil später viele Lieder übernommen wurden. Nach Krieg und Gefangenschaft arbeitete er als Bildungsreferent bei der Katholischen Aktion der Erzdiözese München-Freising, drehte einen Film über den Eucharistischen Weltkongress in München und einen zweiten über das 2. Vatikanische Konzil und war zuletzt Chefredakteur der Münchner Katholischen Kirchenzeitung.

Maria Luise Thurmair stammte aus Südtirol und war eine Tochter des letzten deutschen Bezirkshauptmanns. Schon während ihres Studiums in Innsbruck , das sie mit der Promotion abschloss, waren es Gedichte, die Georg und Maria Luise zusammenführten, ganz so, wie sich das für ein Dichterpaar gehört. Maria Luise hatte in einer Zeitschrift Georgs Marienlied »Nun Brüder sind wir frohgemut« entdeckt und war davon so begeistert, dass sie es mit ihrer Innsbrucker Mädchengruppe einübte. Georg war zur gleichen Zeit in einem Liederheft das »Kreuzlied« von Maria Luise aufgefallen und er war davon ebenfalls begeistert. Er schrieb ihr einen Brief und lud sie zur Mitarbeit an einem geplanten Liederbuch zu Weihnachten ein.

Bald kam Georg zu einer von Maria Luise organisierten Dichterlesung nach Innsbruck. Diese erste persönliche Begegnung entschied über das Schicksal der beiden. In einem Brief wenig später schrieb Georg, ihm sei klar geworden, wie sehr sie im Geiste verbunden seien und dass er von Herzen wünsche, mit ihr zu arbeiten, mehr noch, mit ihr zu leben. Bei einem Blitzurlaub von drei Tagen – Georgs Regiment stand an der Ostfront – fand in Innsbruck die Hochzeit statt.

Die Einfälle zu den Liedtexten kamen Maria Luise Thurmair oft im Alltag, bei der Arbeit als Hausfrau und Mutter – einmal sogar im Wochenbett. So entstand das Lied Nummer 261 im »Gotteslob« nach der Geburt ihres vierten Kindes als eine Neufassung des Magnifikat mit den Anfangszeilen: »Den Herren will ich loben, / es jauchzt in Gott mein Geist, / denn er hat mich erhoben, / dass man mich selig preist.« Doch ihr Lieblingslied war und blieb die Gotteslob-Nummer 634 mit der Anfangsstrophe: »Dank sei dir Vater, / für das ew´ge Leben / und für den Glauben, / den du uns gegeben, / dass wir in Jesus Christus dich erkennen / und Vater nennen. « »Mit diesem Lied auf den Lippen wolle sie einmal sterben«, wünschte sie sich. Wie ihre Kinder, die am Sterbebett der Mutter standen, später erzählten, ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.


Julius Bittmann


3/2013