Jahrgang 2003 Nummer 40

Zieht man dem Apfel die Haut ab ...

Uralt sind mancherlei Bräuche um den Apfel – Allerlei Geschichten um eine beliebte Frucht

Warum es wohl gerade ein Apfel war, in den Adam beißen musste? Nun, wer hätte eine haarige Kokosnuss vorgezogen oder eine Zitrone, wenn daneben ein rotbackiger Apfel einlud? Eine Kokosnuss essbereit zu machen, hätte Mühe gekostet, sogar Kunstfertigkeit, und Eva war gewiss keine gute Hausfrau. Das konnte sie schließlich erst werden, nachdem das Haus gebaut war.

Unzählige Evastöchter haben seither den Apfel weitergegeben. Ganz ohne Arg und Folgen freilich nicht immer, ein bisschen Magie ist dem Apfel geblieben. Seiner runden Form wegen ist er Symbol der Vollkommenheit geworden. Und da Vollkommenheit dem Glück verschwistert sein muss, wurde er Symbol des Glücks, der Sonne, der Welt und der Herrschaft über diese. Der Reichsapfel war dafür das Zeichen.

Im alten Persien, wo die Sonne göttliche Verehrung genoss, gab es Stäbe, auf denen ein goldener Apfel befestigt war. Als Adonis, der frühlingshafte Jüngling, in die Unterwelt kommt, wird er nach dem Herrlichsten gefragt, das er auf der Erde zurückgelassen habe. Da sagte er ohne Zögern: Sonne, Mond und Äpfel.

Der Apfel des Paris

Zu größter Berühmtheit gelangte der Apfel der Zwietracht. Es begann mit einer Traumhochzeit, wie uns die griechische Mythologie berichtet: Peleus, der thessalische Heros, heiratete die Meergöttin Thetis. Alle Unsterblichen waren geladen, nur eine hatte man geflissentlich vergessen: Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie kam ungebeten und warf einen goldenen Apfel mit der Aufschrift »Der Schönsten« in den Festsaal, gerade dorthin, wo Hera, Gattin des Zeus und die Göttinnen Athene und Aphrodite saßen.

Wie vorauszusehen, gab es sofort Streit unter den hohen Damen. Um ihn zu schlichten, beschloss man, der Hirtenknabe Paris solle die Entscheidung treffen und der Schönsten den Apfel geben. Wie die erste und berühmte Wahl einer Schönheitskönigin ausging, ist Geschichte geworden.

Der Apfel wechselte aus Paris’ in Aphrodites Hand und wurde zur Lawine, die das stolze Troja zu Staub zermalmte, dort jedoch einen Mann hinausschleuderte, der bestimmt war, Rom zu gründen. Eine gewaltige Lawine also, die immer noch rollt.

Vom Symbol zum Zaubermittel

Die Germanen sahen im Apfel das Symbol für ein ewiges Leben in Jugend. Die nordische Göttin Iduna gibt den Helden, die Walhalla betreten, Äpfel in goldenen Schalen. Und als es Loki, dem Gott der Unterwelt und des Todes gelingt, Iduna zu rauben, da beginnen die göttlichen Helden zu altern. Doch sie gewinnen Iduna zurück, und, einmal gelabt an deren Äpfeln, auch zugleich ihre Jugendkraft.

Uralt sind mancherlei Bräuche, wobei der Apfel vom Symbol zum Zaubermittel schon fast hinüberwechselt. Da gab es Leute, die ihn mit kaum sichtbaren bindenden Zauberzeichen versahen. Wehe aber, wenn ihn nicht die richtige Person bekam. Da soll doch einmal ein solcher Apfel, der für einen Mann bestimmt war, versehentlich in den Magen eines Schweins geraten sein. Das gute Tier sei daraufhin der Herstellerin des Zauberapfels nicht mehr von der Seite gewichen.

Zieht man dem Apfel die Haut ab, dann werden die langen Schalenbänder leicht zu orakelnden Figuren. Aus ihren Verschlingungen, möglichst nach einem Wurf über die Schulter, ganz besonders zuverlässig zu Weihnachten oder Silvester, lassen sich mit einiger Phantasie die ersten Buchstaben von Namen des oder der Zukünftigen erkennen.

Redewendungen und Sprichwörter

In China hat ein Knabe die Aufgabe, in die Ecken des ehelichen Gemachs vier Äpfel zu legen, ein Fruchtbarkeitsritus, der dem starken Wunsch der Chinesen nach männlichen Nachkommen entspricht.

Ist eine Frucht so verbreitet, beliebt und beziehungsreich, dann muss das in Redewendungen und Sprichwörtern Niederschlag finden. Vom Apfel gibt es solche in großer Zahl. Ein paar Beispiele sollen genügen: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« – »Ein fauler Apfel steckt hundert gesunde an.« – Im schönsten Apfel sitzt der Wurm.« – »In den sauren Apfel beißen.«

Recht pessimistisch klingen: »Adams Apfelbiss bringt den Tod gewiss«, oder »Adams Apfelmus bracht’ uns allen viel Verdruss«, und »Es haben alle Adamskinder ein Würmelein im verbotenen Apfel gegessen«. Nicht von ungefähr ist die Verbindung im litauischen Wort: »Gehst du mit dem Teufel zum Apfelpflücken, wirst du um Apfel und Korb betrogen.«

An einen und eine haben wir bisher noch nicht gedacht, an den Dichter und die Dichterin. Ihnen sind Apfel und Apfelblüte Schlüssel zu Tiefe und Höhen der Welt. Die glatte Rundung, den Duft und die Farbe rufen sie an, um andere Schönheit damit zu beschwören.

GD



40/2003