Woher die Baiern wirklich kamen
Eine geschichtliche Betrachtung

Germanischer Reiter (Hornhausen) Relief aus der Zeit der Völkerwanderung Ende des 4. Jahrhunderts.

Markomannisch-bayuwarischer Krieger mit Langschwert (7. Jahrhundert).
Warum sich ein historisch interessierter Laie um die Herkunft der Baiern kümmert? Weil ihm die gängige Lehrmeinung darüber, die ihm unentwegt über die Medien aufgetischt wird, unglaubhaft erscheint. Kein ursprünglicher Stamm seien die Baiern gewesen, aus Völkerresten hätten sie sich erst nach Abzug der Römer in unserem Lande gebildet, besagt diese These.
Die Historiker begründen sie damit, dass die Geschichtsquellen vor dem fünften Jahrhundert keine »Baiern« aufzuweisen hätten. Durch Jordanes »Gotengeschichte« erfolge die Benennung der »Bajuvarii« erstmals im Jahr 469 n. Chr. und zwar schon als östliche Nachbarn der Schwaben. Folglich könnten sie – nachdem es ja vorher keinen Stamm dieses Namens gegeben habe – nur dort, also im späteren Baiernlande »gewachsen« sein. Soweit die Lehrmeinung der Vertreter der autochthonen Stammesbildung.
Wie vagabundierende Völkerreste ein so großes Land wie das bairische besiedeln und kultivieren konnten - in nur wenigen Menschenaltern – das hingegen vermochte mir nicht einzuleuchten. Dabei sei angemerkt, dass mir unter »großem Land« keineswegs der heutige Frei- und Rumpfstaat vorschwebt, sondern das ursprüngliche gesamte Stammes-Siedlungsgebiet.
Altbaiern also, noch verbunden mit seiner Ostmark, dem heutigen Österreich und Südtirol, abzüglich Vorarlberg in etwa. Die unglückselige Zerstückelung des Landes und Stammes in zwei Teile und Staaten erfolgte ja erst im verhängnisvollen Jahre 1156 n. Chr.
Doch Meinungen wiegen wenig ohne Beweise. Wo waren die »Bajuvariiì« unter dem Gewirr von Stämmen, die »Deutschland« in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bevölkerten? Auch ich fand sie nicht! Und gerade darum ging es doch: Die Baiern als Stamm vor der Landnahme zu entdecken.
Da war jedoch ein Land, das mir ins Auge viel: Bajer- oder Bojerheim, das heutige Böhmen, das seinen Namen von einem abgewanderten Keltenvolk, den Bojern, erhalten hatte und im Jahre 6 v. Chr. von den germanischen Markomannen wieder in Besitz genommen wurde.
Waren dies die späteren Baiern, konnte dieser Stamm es sein, den ich suchte? Von Haus aus sprach viel dafür. Engster Nachbar zum späteren Baiernland war er ja und nur eines Sprunges über die Donau bedurfte es, um dort zu sein. Und diese Nähe schien mir Vorbedingung, um als »Ahne« der Baiern in Betracht zu kommen. Land zu gewinnen erforderte nicht nur ein blankes Schwert in diesen kriegerischen Zeiten, auch »blitzschneller Zugriff« war dazu Bedingung.
Die Namenswandlung von Markomanne zu Bajuware bereitete erst recht kein Kopfzerbrechen. »Festgeschrieben« waren sie damals nicht, die Namen. Urzeitliche Bezeichnungen konnten es sein, oder wie in unserem Falle, ein Name auch von der Herkunft abgeleitet. Nach dem Bojer Lande, aus dem sie kamen, wurden sie in diesem Fall benannt. Unserem Nachbarn links des Lechs – und nicht nur ihm – erging es ja genau so. Erst waren sie die Sueben, dann die Alemannen und zuletzt bezeichnete man sie als Schwaben.
Die Namensänderung war also einfach zu erklären. Auch die geographische Ausgangslage des Stammes der Markomannen zur Eroberung des künftigen Baierns war als eine ideale anzusehen. Doch wie stand es um seine Mächtigkeit dieses zyklopische Werk auch zu meistern? War er mächtig genug, das Land zu besetzten, es zu besiedeln, es auszuweiten nach Süd, Ost und Nord und andrängende Feinde abzuhalten? Um das zu beurteilen wird man genötigt sein, Einblick zu nehmen in die Geschichte dieses bemerkenswerten Volkes.
Der Stamm der Markomannen, von dem der Feldherr Tiberius dem römischen Senat berichtete, er sei gefährlicher und fürchterlicher als Hannibal einst mit seinen Karthagern, kam als Teilvolk der Sueben vom Norden »Deutschlands« an die obere Donau. Von dort führte ihn im Jahre 6 v. Chr. ihr Herzog Marbod ins Land der Bojern.
Dort stärkte er seine Macht. Umliegende Stämme gewann er als Verbündete, erhob sich zu deren König, baute ein starkes stehendes Heer auf und schulte dieses – er war in Rom im Militärwesen ausgebildet ñ in römischer Kriegskunst. Einem Angriff dieser Weltmacht, dessen Legionen nur einen Steinwurf südlich der Donau lagerten, wollte er, wie es schien, nicht tatenlos entgegensehen. Und dass er kommen würde, dieser Angriff, damit konnte der Kenner römischer Gepflogenheiten rechnen, denn das Imperium duldete keinen Machtblock an seinen Grenzen. Doch auch noch andere Gründe scheinen dafür gesprochen zu haben, gerade hier zuzuschlagen, obgleich die Ursachen dafür im Norden »Deutschlands« lagen.
Um die Wende zum christlichen Zeitalter war bis zur Donau alles in römischer Hand und auch der Rhein bildete die Reichsgrenze. Westlich davon waren alle Länder Provinzen Roms, jedoch das germanische Kernland blieb ihnen weitgehend verschlossen. Nördlich der Donau und östlich des Rheins hausten die Völker, von denen sich die Okkupanten schmunzelnd erzählten: sie schlügen sich gegenseitig gerne die Schädel ein; stoßen sie jedoch selber einmal vor ins Landesinnere, dann erkennt man erbittert: auch ihre Köpfe pflegt man hier nicht zu schonen.
Kurzum: Es waren jedesmal verlustreiche Unternehmungen, ohne anhaltende Erfolge. Die Verbindungen zu den Ausgangspunkten, den Rheinkastellen, waren überdehnt und die Gefahr abgeschnitten und vernichtet zu werden, war groß. Dieses sinnlose Siegen und blutige Niederlageneinstecken zwang Rom zu einem entscheidenden Schritt, zur »Entscheidungsschlacht«.
Da die Schwäche ihrer bisherigen Unternehmungen die Gefährdetheit eines jeweils einzelnen Stoßkeiles im Norden gewesen war, musste ein zweiter umfassenderer Keil folgerichtig im Süden angesetzt werden. So nur war die Masse der Stämme Ñeinzukesselnì und ihre Widerstandskraft dadurch zu ersticken.
Als Ausgangspunkt des zweiten Zangenarmes war demgemäß die Gegend um das heutige Wien beim Heerlager Carnuntum ausersehen. Zielpunkt sollte anscheinend die Elbmündung beim heutigen Hamburg sein, wo man sich mit vorzustoßenden Rheinlegionen zu vereinigen gedachte. Ein genialer Plan und bei Gelingen für »Germania« der Todessoß.
Doch saß da, genau in diesem Gebiet, das man zu durchstoßen plante, im Bojerland König Marbod mit seinen Markomannen. Und dieser Riegel und Machtblock war nicht einfach zu durchbrechen, den musste man zertrümmern; dann erst war der Weg nach Norden frei und die Bedrohung, die von ihm ausging, zugleich auch beseitigt. Ein Doppelziel von geschichtsverändernder Bedeutung, auch höchsten Einsatz rechtfertigend.
Und das Imperium kleckerte nicht, es klotzte! Ein halbes Dutzend Legionen, von Saturnius befehligt, wälzten sich im Frühjahr 6 n. Chr. den Main aufwärts, Böhmen zu. Mit gleicher Macht nahte von Südosten her Tiberius. Hundertfünzigtausend Römer sollten Marbods Heer, das nur die Hälfte an Kriegern aufwies, zwischen sich zermalmen.
Doch das erfolgsgewohnte Weltreich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Marbod war nicht nur Feldherr, sondern auch Staatsmann von hohem Rang. Einen vorbereiteten Aufstand der Pannonier im Osten ließ er auflodern zur rechten Zeit, was zum Patt auf dem Schlachtfeld führte. Nie mehr gelang es Rom, den Vernichtungsschlag gegen dieses tapfere Volk nachzuholen. Wie ein schützendes Gebirge stellte es sich – mehr als 400 Jahre – zwischen das Imperium und seine nördlichen Brudervölker. Ihre und die eigene Versklavung und Romanisierung hatte es somit verhindert und so den ersten Eckpfeiler der späteren Deutschen Nation errichtet.
Freilich war des Agressors Kampf um dieses Land damit noch nicht beendet. Jahrhunderte wogte er hin und her mit wechselndem Kriegsglück. Vom Blut der Kämpfer beider Seiten waren die Schlachtfelder dieser Zeit getränkt. Allein die drei bekanntesten Markomannenkriege (von 165 bis 180 n. Chr. – zum Teil schon südlich der Alpen geführt - ) forderten Hekatomben Opfer. Ausgelöscht waren danach eine Reihe römischer Legionen und der Markomannen Verluste dürften kaum geringer gewesen sein. Doch Rom war in die Defensive gedrängt. Seine germanischen Gegner bestimmten künftig mehr und mehr das Gesetz des Handelns.
Die eingangs gestellte Frage nach der Stärke dieses Stammes ist damit wohl beantwortet. Angesichts der Leistungen, die dieses Volk befähigte, sich einer Weltmacht zu erwehren und sie später aus dem Land zu jagen, ist begründet anzunehmen, dass es kein schwaches Volk gewesen sein kann.
Warum sollte dieser Stamm, von Leben strotzend, sich »auflösen«, wie man uns sagt, gerade zu einer Zeit, als sein Widerpart, der römische Koloss, schon taumelte? Warum sollte er sich Ñauflösenì zu genau der Zeit, als das menschenleere Land, die Frucht seines Kämpfens und Siegens, schon lockend und greifbar vor ihm lag? Und wie sollte das überhaupt geschehen? Sich auflösen und spurlos verschwinden aus Welt und Geschichte? Da gilt es sich schon zu fragen, verehrte Leser, ob solcher Art Abläufe in der Realität des Lebens überhaupt vorstellbar seien, oder ob sie nicht doch eher angesiedelt sind im Reich der Phantasie und der Illusionen?
Die Historie lehrt uns jedenfalls: Entwicklungen im Völkerdasein pflegen sich menschenüblich und folgerichtig zu vollziehen.
Wissen wir also, dass im 3. Jahrhundert die brüchig gewordene römische Reichsgrenze immer häufiger von »Barbaren« überflutet wurde, dann ist anzunehmen, dass die römische Zivilbevölkerung zunehmend nach Italien zurück zu strömen begann, da sie einfach zu gut wusste, was ihr bevorstand, wenn sie ihr Heil nicht in der Flucht fand.
Und wissen wir, dass letztlich ñ durch Fäulnis des Reiches und den Schlägen der Markomannen ñ auch die Legionen ihnen folgen mussten, dann wird schwerlich anzunehmen sein, dass die Sieger dieses »leere Land« irgendwelchen »Streunern«
überließen. Naheliegender erscheint es doch, dass sie es einfach selber übernahmen.
Und werden die Bajuwaren schon im 5. Jahrhundert n. Chr. als der Schwaben östliche Nachbarn benannt , so deutet auch dies kaum auf »Restvölker-Besiedelung« hin, vielmehr zeugt dieses Faktum vom kraftvollen Werk eines mächtigen Stammes.
Und ziehen wir zuletzt noch in Betracht, dass eben zu der Zeit, als ein starkes Volk in Böhmen sich spurlos verliert und ein eben solches unter dem Wohnsitznamen des verschwunden Volkes von unserem Land Besitz ergreift, dann dürfte es wahrlich schwer fallen, noch Zweifel zu hegen, an der Identität von Markomannen und den Baiern.
Wir können also davon ausgehen, dass von Böhmen her die Ahnen des bairischen Stammes kamen und erst hier nach dem Namen ihrer Herkunft benannt wurden. Auch »Heimat« schufen sie sich da. Heimat deren ganz besondere Kultur davon kündet: Hier war und ist ein mit überquellender Schöpferkraft gesegneter Menschenschlag am Werke. Ein Urstamm, dessen Wurzeln hinab zu reichen scheinen, in die verborgenen Zeiten der Stammesbildung. Ein Urstamm, der mitwirkte und wirkt – seit zwei Jahrtausenden und mehr – an der Bildung und Gestaltung Deutschlands und Europas.
HS
35/2003
Die Historiker begründen sie damit, dass die Geschichtsquellen vor dem fünften Jahrhundert keine »Baiern« aufzuweisen hätten. Durch Jordanes »Gotengeschichte« erfolge die Benennung der »Bajuvarii« erstmals im Jahr 469 n. Chr. und zwar schon als östliche Nachbarn der Schwaben. Folglich könnten sie – nachdem es ja vorher keinen Stamm dieses Namens gegeben habe – nur dort, also im späteren Baiernlande »gewachsen« sein. Soweit die Lehrmeinung der Vertreter der autochthonen Stammesbildung.
Wie vagabundierende Völkerreste ein so großes Land wie das bairische besiedeln und kultivieren konnten - in nur wenigen Menschenaltern – das hingegen vermochte mir nicht einzuleuchten. Dabei sei angemerkt, dass mir unter »großem Land« keineswegs der heutige Frei- und Rumpfstaat vorschwebt, sondern das ursprüngliche gesamte Stammes-Siedlungsgebiet.
Altbaiern also, noch verbunden mit seiner Ostmark, dem heutigen Österreich und Südtirol, abzüglich Vorarlberg in etwa. Die unglückselige Zerstückelung des Landes und Stammes in zwei Teile und Staaten erfolgte ja erst im verhängnisvollen Jahre 1156 n. Chr.
Doch Meinungen wiegen wenig ohne Beweise. Wo waren die »Bajuvariiì« unter dem Gewirr von Stämmen, die »Deutschland« in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bevölkerten? Auch ich fand sie nicht! Und gerade darum ging es doch: Die Baiern als Stamm vor der Landnahme zu entdecken.
Da war jedoch ein Land, das mir ins Auge viel: Bajer- oder Bojerheim, das heutige Böhmen, das seinen Namen von einem abgewanderten Keltenvolk, den Bojern, erhalten hatte und im Jahre 6 v. Chr. von den germanischen Markomannen wieder in Besitz genommen wurde.
Waren dies die späteren Baiern, konnte dieser Stamm es sein, den ich suchte? Von Haus aus sprach viel dafür. Engster Nachbar zum späteren Baiernland war er ja und nur eines Sprunges über die Donau bedurfte es, um dort zu sein. Und diese Nähe schien mir Vorbedingung, um als »Ahne« der Baiern in Betracht zu kommen. Land zu gewinnen erforderte nicht nur ein blankes Schwert in diesen kriegerischen Zeiten, auch »blitzschneller Zugriff« war dazu Bedingung.
Die Namenswandlung von Markomanne zu Bajuware bereitete erst recht kein Kopfzerbrechen. »Festgeschrieben« waren sie damals nicht, die Namen. Urzeitliche Bezeichnungen konnten es sein, oder wie in unserem Falle, ein Name auch von der Herkunft abgeleitet. Nach dem Bojer Lande, aus dem sie kamen, wurden sie in diesem Fall benannt. Unserem Nachbarn links des Lechs – und nicht nur ihm – erging es ja genau so. Erst waren sie die Sueben, dann die Alemannen und zuletzt bezeichnete man sie als Schwaben.
Die Namensänderung war also einfach zu erklären. Auch die geographische Ausgangslage des Stammes der Markomannen zur Eroberung des künftigen Baierns war als eine ideale anzusehen. Doch wie stand es um seine Mächtigkeit dieses zyklopische Werk auch zu meistern? War er mächtig genug, das Land zu besetzten, es zu besiedeln, es auszuweiten nach Süd, Ost und Nord und andrängende Feinde abzuhalten? Um das zu beurteilen wird man genötigt sein, Einblick zu nehmen in die Geschichte dieses bemerkenswerten Volkes.
Der Stamm der Markomannen, von dem der Feldherr Tiberius dem römischen Senat berichtete, er sei gefährlicher und fürchterlicher als Hannibal einst mit seinen Karthagern, kam als Teilvolk der Sueben vom Norden »Deutschlands« an die obere Donau. Von dort führte ihn im Jahre 6 v. Chr. ihr Herzog Marbod ins Land der Bojern.
Dort stärkte er seine Macht. Umliegende Stämme gewann er als Verbündete, erhob sich zu deren König, baute ein starkes stehendes Heer auf und schulte dieses – er war in Rom im Militärwesen ausgebildet ñ in römischer Kriegskunst. Einem Angriff dieser Weltmacht, dessen Legionen nur einen Steinwurf südlich der Donau lagerten, wollte er, wie es schien, nicht tatenlos entgegensehen. Und dass er kommen würde, dieser Angriff, damit konnte der Kenner römischer Gepflogenheiten rechnen, denn das Imperium duldete keinen Machtblock an seinen Grenzen. Doch auch noch andere Gründe scheinen dafür gesprochen zu haben, gerade hier zuzuschlagen, obgleich die Ursachen dafür im Norden »Deutschlands« lagen.
Um die Wende zum christlichen Zeitalter war bis zur Donau alles in römischer Hand und auch der Rhein bildete die Reichsgrenze. Westlich davon waren alle Länder Provinzen Roms, jedoch das germanische Kernland blieb ihnen weitgehend verschlossen. Nördlich der Donau und östlich des Rheins hausten die Völker, von denen sich die Okkupanten schmunzelnd erzählten: sie schlügen sich gegenseitig gerne die Schädel ein; stoßen sie jedoch selber einmal vor ins Landesinnere, dann erkennt man erbittert: auch ihre Köpfe pflegt man hier nicht zu schonen.
Kurzum: Es waren jedesmal verlustreiche Unternehmungen, ohne anhaltende Erfolge. Die Verbindungen zu den Ausgangspunkten, den Rheinkastellen, waren überdehnt und die Gefahr abgeschnitten und vernichtet zu werden, war groß. Dieses sinnlose Siegen und blutige Niederlageneinstecken zwang Rom zu einem entscheidenden Schritt, zur »Entscheidungsschlacht«.
Da die Schwäche ihrer bisherigen Unternehmungen die Gefährdetheit eines jeweils einzelnen Stoßkeiles im Norden gewesen war, musste ein zweiter umfassenderer Keil folgerichtig im Süden angesetzt werden. So nur war die Masse der Stämme Ñeinzukesselnì und ihre Widerstandskraft dadurch zu ersticken.
Als Ausgangspunkt des zweiten Zangenarmes war demgemäß die Gegend um das heutige Wien beim Heerlager Carnuntum ausersehen. Zielpunkt sollte anscheinend die Elbmündung beim heutigen Hamburg sein, wo man sich mit vorzustoßenden Rheinlegionen zu vereinigen gedachte. Ein genialer Plan und bei Gelingen für »Germania« der Todessoß.
Doch saß da, genau in diesem Gebiet, das man zu durchstoßen plante, im Bojerland König Marbod mit seinen Markomannen. Und dieser Riegel und Machtblock war nicht einfach zu durchbrechen, den musste man zertrümmern; dann erst war der Weg nach Norden frei und die Bedrohung, die von ihm ausging, zugleich auch beseitigt. Ein Doppelziel von geschichtsverändernder Bedeutung, auch höchsten Einsatz rechtfertigend.
Und das Imperium kleckerte nicht, es klotzte! Ein halbes Dutzend Legionen, von Saturnius befehligt, wälzten sich im Frühjahr 6 n. Chr. den Main aufwärts, Böhmen zu. Mit gleicher Macht nahte von Südosten her Tiberius. Hundertfünzigtausend Römer sollten Marbods Heer, das nur die Hälfte an Kriegern aufwies, zwischen sich zermalmen.
Doch das erfolgsgewohnte Weltreich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Marbod war nicht nur Feldherr, sondern auch Staatsmann von hohem Rang. Einen vorbereiteten Aufstand der Pannonier im Osten ließ er auflodern zur rechten Zeit, was zum Patt auf dem Schlachtfeld führte. Nie mehr gelang es Rom, den Vernichtungsschlag gegen dieses tapfere Volk nachzuholen. Wie ein schützendes Gebirge stellte es sich – mehr als 400 Jahre – zwischen das Imperium und seine nördlichen Brudervölker. Ihre und die eigene Versklavung und Romanisierung hatte es somit verhindert und so den ersten Eckpfeiler der späteren Deutschen Nation errichtet.
Freilich war des Agressors Kampf um dieses Land damit noch nicht beendet. Jahrhunderte wogte er hin und her mit wechselndem Kriegsglück. Vom Blut der Kämpfer beider Seiten waren die Schlachtfelder dieser Zeit getränkt. Allein die drei bekanntesten Markomannenkriege (von 165 bis 180 n. Chr. – zum Teil schon südlich der Alpen geführt - ) forderten Hekatomben Opfer. Ausgelöscht waren danach eine Reihe römischer Legionen und der Markomannen Verluste dürften kaum geringer gewesen sein. Doch Rom war in die Defensive gedrängt. Seine germanischen Gegner bestimmten künftig mehr und mehr das Gesetz des Handelns.
Die eingangs gestellte Frage nach der Stärke dieses Stammes ist damit wohl beantwortet. Angesichts der Leistungen, die dieses Volk befähigte, sich einer Weltmacht zu erwehren und sie später aus dem Land zu jagen, ist begründet anzunehmen, dass es kein schwaches Volk gewesen sein kann.
Warum sollte dieser Stamm, von Leben strotzend, sich »auflösen«, wie man uns sagt, gerade zu einer Zeit, als sein Widerpart, der römische Koloss, schon taumelte? Warum sollte er sich Ñauflösenì zu genau der Zeit, als das menschenleere Land, die Frucht seines Kämpfens und Siegens, schon lockend und greifbar vor ihm lag? Und wie sollte das überhaupt geschehen? Sich auflösen und spurlos verschwinden aus Welt und Geschichte? Da gilt es sich schon zu fragen, verehrte Leser, ob solcher Art Abläufe in der Realität des Lebens überhaupt vorstellbar seien, oder ob sie nicht doch eher angesiedelt sind im Reich der Phantasie und der Illusionen?
Die Historie lehrt uns jedenfalls: Entwicklungen im Völkerdasein pflegen sich menschenüblich und folgerichtig zu vollziehen.
Wissen wir also, dass im 3. Jahrhundert die brüchig gewordene römische Reichsgrenze immer häufiger von »Barbaren« überflutet wurde, dann ist anzunehmen, dass die römische Zivilbevölkerung zunehmend nach Italien zurück zu strömen begann, da sie einfach zu gut wusste, was ihr bevorstand, wenn sie ihr Heil nicht in der Flucht fand.
Und wissen wir, dass letztlich ñ durch Fäulnis des Reiches und den Schlägen der Markomannen ñ auch die Legionen ihnen folgen mussten, dann wird schwerlich anzunehmen sein, dass die Sieger dieses »leere Land« irgendwelchen »Streunern«
überließen. Naheliegender erscheint es doch, dass sie es einfach selber übernahmen.
Und werden die Bajuwaren schon im 5. Jahrhundert n. Chr. als der Schwaben östliche Nachbarn benannt , so deutet auch dies kaum auf »Restvölker-Besiedelung« hin, vielmehr zeugt dieses Faktum vom kraftvollen Werk eines mächtigen Stammes.
Und ziehen wir zuletzt noch in Betracht, dass eben zu der Zeit, als ein starkes Volk in Böhmen sich spurlos verliert und ein eben solches unter dem Wohnsitznamen des verschwunden Volkes von unserem Land Besitz ergreift, dann dürfte es wahrlich schwer fallen, noch Zweifel zu hegen, an der Identität von Markomannen und den Baiern.
Wir können also davon ausgehen, dass von Böhmen her die Ahnen des bairischen Stammes kamen und erst hier nach dem Namen ihrer Herkunft benannt wurden. Auch »Heimat« schufen sie sich da. Heimat deren ganz besondere Kultur davon kündet: Hier war und ist ein mit überquellender Schöpferkraft gesegneter Menschenschlag am Werke. Ein Urstamm, dessen Wurzeln hinab zu reichen scheinen, in die verborgenen Zeiten der Stammesbildung. Ein Urstamm, der mitwirkte und wirkt – seit zwei Jahrtausenden und mehr – an der Bildung und Gestaltung Deutschlands und Europas.
HS
35/2003