Wöchentlicher Anschlag
Die Währungsreform 1948



Deutschland im Frühjahr 1948: Die Reichsmark hatte ihre Funktionen als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel weitgehend eingebüßt. Sie wurde nach dem Krieg teilweise durch Tauschhandel ersetzt. Auf den überall blühenden schwarzen Märkten regierte der Vergleich von Sachwerten, vor allem in seiner bekanntesten und häufigsten Form, der sogenannten »Zigarettenwährung«; eine Zigarette entsprach etwa zehn Reichsmark mit einer heutigen Kaufkraft von 30 Euro! Verbote und Gegenmaßnahmen von amtlicher Seite zeigten kaum Wirkung. Als Konsequenz dieser unhaltbaren Zustände erfolgte in den westdeutschen Zonen der Alliierten am 20. Juni die Währungsreform. Sie gehört aus heutiger Sicht zu den bedeutendsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Rundfunk und öffentliche Aushänge hatten am 18. Juni über deren Ablauf informiert. Jeder erhielt in zwei Schritten ein »Kopfgeld« in Höhe von 60 Deutschen Mark – 40 sofort, weitere 20 einen Monat später. Ab 21. Juni erloschen alle alten Zahlungsmittel, lediglich Kleingeld bis zu einer Reichsmark blieb vorerst zu einem Zehntel seines Nennwertes gültig. Bis zum 26. Juni musste alles bare Altgeld bei einer Hauptumtauschstelle der Abwicklungsbank abgeliefert sowie sämtliche Altgeldguthaben angemeldet werden, sonst verfielen sie. Nach der Genehmigung von Seiten des Finanzamtes wurde das Gesamtgeld über ein »Reichsbank-Abwicklungskonto« umgestellt. Bei den natürlichen Personen ergab sich (nach Anrechnung der Sofortauszahlung) ein Verhältnis der Konten (Reichsmark zu D-Mark) von 10:1.(1) Franz Büttner, Traunsteins Stadtchronist, lässt uns emotional an dem einschneidenden Ereignis teilhaben:
»Einer der schwersten Tage für die ganze deutsche Nation war der 20. Juni 1948, haben doch so viele ihre so mühsam ersparten Pfennige zum zweiten Male in ihrem Leben verloren; im Jahr 1923 durch die Inflation und nun wieder durch die Geldentwertung mit 10:1, das heißt: Wer 1000 Reichsmark auf der Sparkasse liegen hatte, bekam jetzt noch 100 Deutsche Mark. Besonders alte Leute traf es sehr hart, nachdem ihnen die letzten Zehrpfennige mit einem Federstrich genommen wurden und sie vor dem Nichts standen. So mancher mußte tränenden Auges die öffentliche Fürsorge der Gemeinde in Anspruch nehmen, um nicht zu verhungern. Die letzten Monate vor der Geldentwertung konnte man in keinem Geschäft für sein Geld noch etwas kaufen, außer die auf die Bezugskarten zustehenden Lebensmittel. Gar mancher hätte noch ein Kleidungsstück oder sonst einen Gegenstand für seinen Haushalt erworben, aber es war einfach nichts zu wollen. Nur Kompensationsgeschäfte wurden noch abgewickelt – wenn du mir das gibst, kannst du von mir auch etwas haben.
Wer hatte aber etwas zu tauschen? Nur der, welcher gehortete Ware besaß, und solche gab es leider zur Genüge. Denn sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß nicht einmal eine Woche nach der Währungsreform in vielen Geschäften Waren in den Auslagen prangten, welche unmöglich seit dem 20. Juni von Fabriken etc. geliefert sein konnten. Schuhe, Kleider, Porzellan und alles Erdenkliche war zu sehen und man muß sich wundern, daß die Bevölkerung dies alles so ruhig hingenommen hat, obwohl über so manches Geschäft wegen des unsozialen Gebarens mächtig losgezogen wurde. Gemüse und Obst ist förmlich über Nacht gewachsen und kam in rauhen Mengen auf den Markt; es war praktisch alles für die neue D-Mark zu haben, welche aber in der ersten Zeit nur knapp zum Leben reichte. Am Sonntag, dem 20. Juni 1946, war die Ausgabe der neuen Geldscheine (40 Mark) pro Kopf gegen Ablieferung von 60 Mark in alten Noten. Weiter im Besitz befindliche Reichsmark mußten bei den Geldinstituten einbezahlt werden. Gar mancher Landwirt kam mit einem Karton oder Rucksack voll Geld zur Bank oder zur Sparkasse und war dann höchst erstaunt, als sich auch das Finanzamt über den Erwerb des vielen Geldes erkundigte und ihn mit einer größeren Steuernachzahlung beglückte. Die Bauern wussten oft nicht mehr, wohin mit dem Geld: Parkettböden, in Fließen gelegte Küchen, Klaviere, zwei bis drei Nähmaschinen, Steppdecken und alles Erdenkliche, was nie mit einem Bauernhof etwas zu tun hatte, konnte man finden. Alles nahm man von der Stadtbevölkerung gegen ein paar Eier, Butter und dergleichen; hatte einer nichts, bekam er auch nichts.
Das Geld von Staats- und Gemeindebehörden wurde samt den Rücklagen, welche für gemeinnützige Zwecke angelegt waren, vollkommen entwertet, sodaß sie am 20. Juni mit vollkommen leeren Kassen dastanden. Man kann sagen, es ist – neben der Inflation von 1923 und dem Raub der deutschen Patente – der größte Diebstahl aller Zeiten.«(2)
Die Hintergründe, die zum Niedergang der deutschen Währung geführt hatten, reflektiert Büttner nicht. Und dass der »größte Diebstahl aller Zeiten« im Wirtschaftswunder enden sollte, mit der Mark als Symbol und (neben dem Schweizer Franken) härtesten Währung Europas, konnte er, wie die meisten anderen, zu diesem Zeitpunkt kaum ahnen. In der Rückschau kann, ja muss man sich hier dem vorsichtig optimistischen Resümee anschließen, das der »Südost-Kurier« zog: »Der seit Wochen in banger Nervosität erwartete Schnitt ist getan. [...] Ein neuer Anfang ist mit der Tat der Geldumstellung gemacht, ein Anfang, der uns hoffen läßt.(3) Die oftmals übergroße Not aber verschwieg, wie zuvor schon Franz Büttner, auch dieser sachliche Bericht nicht. Hierzu abschließend noch drei kurze Schlaglichter aus dem Geschäftsgang der Stadtverwaltung:
»Der Oberbürgermeister [Rupert Berger] sieht es als eine Verpflichtung der Stadt an, daß jetzt keine Entlassungen von Arbeitern und Angestellten, die drei Jahre für schlechtes Geld für die Stadt arbeiteten, erfolgen dürfen. Über die weitere Finanzgestaltung der Stadt können zur Zeit keine Angaben gemacht werden. Für die erste Zeit bedürfen alle städtischen Ausgaben der persönlichen Genehmigung des Oberbürgermeisters.«(4) – »Vorerst werden die städtischen Bauvorhaben (Gaswerk, Rathaus und Bürobaracke am Karl-Theodor-Platz) eingestellt. Fortgeführt werden lediglich der Schornsteinbau im Gaswerk, die Verputzarbeiten am Ofenhaus und jene Arbeiten, die mit eigenem städtischen Personal bewältigt werden können, damit die Beschäftigung der städtischen Arbeiter gewährleistet ist.«(5) – »Die Dotation der bayerischen Staatsregierung für Traunstein beträgt 320 000 D-Mark, das ist ein Sechstel der Einnahmen von Oktober 1947 bis März 1948. Sie ist als sehr gering zu bezeichnen, da die personellen Ausgaben der Stadt einschließlich der Fürsorge monatlich bereits 110 000 D-Mark betragen. Während vor der Währungsreform etwa 300 Personen von der Fürsorge unterstützt werden mussten, sind es jetzt bereits 412 Unterstützte. Weitere Anträge werden täglich gestellt.«(6)
Franz Haselbeck
Anmerkungen:
(1) Nach: https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hrungsreform_1948_(Westdeutschland).
(2) Stadtarchiv Traunstein, Büttner-Chronik, Bd. III, S. 62-63.
(3) Südost-Kurier v. 23.6.1948, in: Büttner-Chronik wie vor, S. 63. Der Südost-Kurier war von 1945 bis 1949 die einzige von den Alliierten zugelassenen Regionalzeitung.
(4) Südost-Kurier v. 30.6.1948, in: Büttner-Chronik wie vor, S. 63.
(5) Südost-Kurier v. 30.6.1948, in: Büttner-Chronik wie vor, S. 64.
(6) Südost-Kurier v. 17.7.1948, in: Büttner-Chronik wie vor, S. 67.
25/2016